Das Lymphödem ist eine chronisch progrediente Erkrankung, vorläufig ohne kurative Möglichkeit. Wichtigste therapeutische Maßnahme ist eine konsequente Kompressionstherapie, ergänzt durch manuelle Lymphdrainage. Der benötigte medizinische Kompressionsstrumpf richtet sich nach dem klinischen Bild und sollte der Wirkung einer kurzzugigen Kompressionsbandage nahekommen.

Wenn auf Kapillarebene die Filtration größer ist als der kolloidosmotische Druck und der Lymphabfluss zusammen, dann entwickelt sich ein Ödem. Ursache kann eine erhöhte Filtration sein (entzündliche Prozesse oder venöse Hypertonie), ein reduzierter kolloidosmotischer Druck (Hypalbuminämie) oder eine funktionelle oder anatomische Lymphabflussstörung. Bei Letzterer spricht man vom Lymphödem. Die Lymphe ist immer proteinreich. Somit ist ein Lymphödem charakterisiert durch ein proteinreiches interstitielles Ödem. Das Lymphödem ist eine chronische und im Normalfall progrediente Erkrankung.

Primäres Lymphödem

Das primäre Lymphödem (Abb. 1) tritt in der Regel sporadisch auf, selten hereditär oder syndromassoziiert. Ursache ist eine Hypo- oder Hyperplasie der Lymphgefäße oder eine Lymphknotenfibrose. Es ist meist an den unteren Extremitäten lokalisiert und in der Regel einseitig. Erste klinische Zeichen zeigen sich meist um die Pubertät, es kann sich aber auch bereits kurz nach der Geburt oder zu einem späteren Zeitpunkt erstmanifestieren. Die Prävalenz ist schlecht untersucht und wird in einer Studie mit 1,15 : 100 000 angegeben. Insgesamt ist dieses Krankheitsbild eher selten. Frauen sind ca. fünfmal häufiger betroffen.

Sekundäres Lymphödem

Ursache des sekundären Lymphödems (Abb. 2) ist eine Unterbrechung der Lymphbahnen. Man unterscheidet dabei benigne (Trauma, Infekte) oder maligne (krebsassoziierte) Ursachen. Die häufigste Ursache in der westlichen Welt ist sicher tumorassoziiert, als Folge eines operativen Lymphknotenstagings mit Radiotherapie, vereinzelt auch durch Zytostatika bedingt. Bei notwendiger axillärer Lymphknotendissektion liegt die Inzidenz eines Armlymphödems noch immer bei 16 bis 20 % und bei Lymphadenektomie paraaortal, iliakal oder inguinal bei etwa 15 %. Jedes chronische Ödem (sei es bei chronisch venöser Insuffizienz, Herzinsuffizienz, aber auch bei Adipositas) führt irgendwann zu einer meist volumenbedingten Überlastungsinsuffizienz der lymphatischen Transportkapazität mit konsekutivem sekundären Lymphödem.

Diagnostik und Klinik

Wichtigster Punkt bei der Diagnostik eines Lymphödems ist, bei den differenzialdiagnostischen Überlegungen überhaupt daran zu denken. Selbstverständlich gilt es bei einer einseitig geschwollenen Extremität alle anderen Ursachen auszuschließen, wie zum Beispiel eine Thrombose oder einen Primär-/Rezidivtumor. Neben der Anamnese einer persistierenden Schwellung findet sich als klinisches Zeichen häufig ein positives Stemmer-Zeichen (Abb. 3). Dabei kann die Haut über der entspannten Zehe nicht mehr gefasst und angehoben werden. Die Zehen sind kantig, die Zehenfalten rarefiziert bei gleichzeitiger Ausbildung gröberer Zehengrundfalten.

Über die Jahre kann sich zunehmend eine ausgedehnte subkutane Fibrosierung und Sklerosierung ausbilden, wie auch eine Papillomatosis cutis lymphostatica der Haut (Abb. 4). Während die klinischen Zeichen beim primären Lymphödem von distal nach proximal abnehmen, besteht beim sekundären Lymphödem ab Unterbruchstelle eine sich nach distal ausbreitende Schwellneigung. Die analogen klinischen Zeichen finden sich alle auch an der oberen Extremität.

Klinische Stadieneinteilung

Die Stadieneinteilung erfolgt nach der International Society of Lymphology (ISL) oder Földi (Übersicht 1). Dabei spricht man vom Stadium I, wenn sich das Lymphödem über Nacht noch spontan erholt, vom Stadium II, wenn keine spontane Erholung mehr beobachtet wird (weil bereits eine zunehmende Fibrosierung besteht), und vom Stadium III, der Elephantiasis. In diesem können neben einer gigantischen Extremität auch ausgedehnte lymphatisch bedingte sekundäre Veränderungen beobachtet werden, wie ausgedehnte Fibrose, Papillomatose, Lymphzysten oder Ulzerationen.

Therapieoptionen

Die therapeutischen Möglichkeiten sind limitiert. Für einzelne Patienten wird es in naher Zukunft voraussichtlich auch operative Optionen geben. Gute Ergebnisse scheint die autologe Lymphknotentransplantation bei sekundärem Lymphödem zu zeigen. Auch die mikrochirurgische Anlage von lymphvenösen Shunts, wie bereits an vereinzelten Zentren weltweit durchgeführt, zeigt in ersten Studien gute Ergebnisse. Am Einsatz von lymphatischen Wachstumsfaktoren (VEGF) wird intensiv geforscht.

Kompression und manuelle Lymphdrainage oder komplexe physikalische Entstauungstherapie

Etabliert und auch in nächster Zukunft für die meisten Patienten die Therapie der Wahl ist die komplexe physikalische Entstauungstherapie (vgl. Abb. 5 und 6a/b).

Über die manuelle Lymphdrainage werden die Lymphgefäße zu maximaler Tätigkeit stimuliert, diese beginnt immer im Mündungsbereich clavikulär und arbeitet sich nach peripher vor. Die wichtigste Maßnahme aber ist die absolut konsequente Kompressionstherapie. Flüssigkeit lässt sich nicht komprimieren, aber sie lässt sich verschieben. Durch die Kompression wird der interstitielle Druck angehoben, womit die Filtrationsmenge abnimmt und damit auch das ödempflichtige interstitielle Flüssigkeitsvolumen. Die Kompression verschiebt die interstitielle Flüssigkeit aber auch in die terminalen, resorptionsfähigen Lymphkapillaren und unterstützt zusätzlich den Lymphabfluss. In einer ersten intensiven Phase, in der das Ziel einer Entödematisierung besteht, wird die manuelle Lymphdrainage täglich eingesetzt, verbunden mit einer fachgerecht angelegten Kurzzug-Kompressionsbandage. Zusätzlich setzen die Therapeuten fibroselockernde oder den Druck verstärkende Schaumstoffelemente ein. In der Erhaltungsphase wird die manuelle Lymphdrainage individuell angepasst wöchentlich oder intermittierend angewendet. Immer aber muss eine konsequente Kompressionstherapie durchgeführt werden. In dieser Phase wird der Kompressionsstrumpf eingesetzt.

Kompressionsstrumpf

Die Aufgabe des Kompressionsstrumpfes ist es, eine möglichst kontinuierliche und permanente Kompression auszuüben, um der im Tagesverlauf zunehmenden Einstauung entgegenwirken zu können. Ein idealer Kompressionsstrumpf wäre infolgedessen sehr einfach und sehr elastisch anzulegen, danach aber starr und unelastisch in der Tragephase. Aufgrund dieser diskrepanten Anforderungen kann ein Kompressionsstrumpf nie eine gute Kurzzugkompressionsbandage ersetzen, aber er kann sich dieser annähern. Gefordert ist ein Kompressionsstrumpf mit möglichst hohem Arbeitsdruck. Diese Voraussetzungen erfüllen am besten dicke und fest/dicht rundgestrickte Kompressionsstrümpfe sowie alle flachgestrickten Kompressionsstrümpfe. Rundgestrickte Kompressionsstrümpfe mit einem kurzzugigen Verhalten dürfen bei leichten Formen des Lymphödems durchaus eingesetzt werden. Bei fortgeschrittenen Formen des Lymphödems, insbesondere bei unförmigen Extremitäten, sollte jedoch zwingend ein sogenannter Flachstrickstrumpf zur Anwendung kommen. Diese werden zweidimensional gestrickt, was die Variation der Maschenzahl bei gleicher Maschenweite ermöglicht. Durch das Zusammennähen sind diese Kompressionsstrümpfe deutlich aufwendiger in Produktion und Preis. Sie sind jedoch die Therapie der Wahl bei allen Formen des fortgeschrittenen Lymphödems.

Welcher Kompressionsdruck?

Die wenigen, aktuell vorliegenden Studien zur Bestimmung des optimalen Kompressionsdruckes ergeben, dass ein moderater Druck (das heißt unter 30 mmHg am Arm) einem höheren Druck überlegen zu sein scheint. Auch am Bein scheinen Druckwerte um 40 mmHg ideal. Im Alltag gilt es jedoch, den für den individuellen Patienten optimalen Strumpf oder die optimale Strumpfkombination nach und nach herauszuarbeiten (vgl. Übersicht 2). Ein „erfahrener“ Lymphpatient kann sehr schnell sagen, wo Korrekturen, Ergänzungen oder eine Steigerung des Druckes notwendig sind.

Genehmigter und bearbeiteter Nachdruck aus Ars medici 14/2013



Autor:

Dr. med. Stephan Wagner

Leitender Arzt Angiologie
Facharzt Angiologie FMH
Facharzt Innere Medizin FMH
RehaClinic Bad Zurzach
CH-5330 Bad Zurzach

Interessenkonflikte: keine deklariert


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2013; 35 (19) Seite 18-23