Wann sind Psychopharmaka indiziert? Welcher Patient profitiert wirklich davon? Welches von den vielen Präparaten soll man verordnen? Wer stellt die Indikation und überwacht die Medikation – der Hausarzt oder der Facharzt? Diese Fragen stellen sich täglich in der Praxis. Der nachfolgende Beitrag versucht, am Beispiel von Depressionen und Psychosen Antworten darauf zu geben.

Der Barmer Arzneimittelreport 2012 hat gezeigt, dass jede vierte Frau und jeder dritte Mann an einer Depression leidet. Bevor eine medikamentöse Therapie eingeleitet wird, sollten andere Maßnahmen, vorrangig eine Gesprächstherapie, ausgeschöpft sein. Ein Präparat sollte individuell auf den Patienten abgestimmt sein. Auch sollte der Betroffene darüber aufgeklärt sein, dass Psychopharmaka nicht heilen, sondern dass eine Behandlung nur zu einer Phasenverkürzung und damit zu einer gesteigerten Lebensqualität verhelfen kann.

Die allgemeinen Leitlinien setzen die Compliance des Patienten voraus: regelmäßige Einnahme, keine Selbstmedikation bei fehlender Erfahrung, kein abruptes Absetzen und neu auftretende Symptome mit dem verantwortlichen Arzt diskutieren. Der behandelnde Arzt wird in die Pflicht genommen, indem er nach ausführlicher Anamneseerhebung die Indikation zur Therapie stellt und den Patienten sehr genau über das Präparat informiert.

Wer ist der verantwortliche Arzt?

Nach Meinung der Psychiater sollte die Diagnose, die Indikation zur Therapie, die Dosisoptimierung und der Entscheid über den Therapieverlauf in den Händen der Spezialisten bleiben. Hausärzte werden jedoch täglich mit diesem Problem konfrontiert, müssen häufig rasch reagieren und können nicht auf einen Termin in einigen Wochen beim Psychiater warten. Der Hausarzt muss sofort handeln, was nicht bedeutet, dass er die Psychiater nicht braucht, z. B. wenn es um eine Bestätigung einer eingeleiteten Therapie geht oder aber bei Therapieversagern eine Therapieoptimierung wünschenswert ist.

Die beiden größten Psychopharmakagruppen sind die Antidepressiva und die Neuroleptika. Hier gibt es eine Vielzahl von Wirkstoffen, die alle ähnlich wirken (sollen), sich allerdings in den unerwünschten Wirkungen unterscheiden. Zudem gibt es Veröffentlichungen, die zeigen, dass Plazebos versus Antidepressiva bei leichten bis mittelschweren Depressionen überlegen sein sollen. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft äußert sich hierzu geschickt: „Antidepressiva sind wirksame und hilfreiche Arzneimittel in der Behandlung der Depression, deren Effektivität letztendlich nicht in Abrede gestellt wird.“

Das richtige Antidepressivum finden

Unabhängig von der Ursache der Depression wirken Antidepressiva thymoleptisch. In der speziellen Wirkung von dämpfend über neutral bis hin zu antriebssteigernd sowie auch anxiolytisch und/oder beruhigend (siehe Tabelle 1).

Die Nebenwirkungen betreffen das Herz-Kreislaufsystem, das Nervensystem und die Sexualität. Unter kontinuierlicher Einnahme dauert es ein paar Tage bis Wochen, bevor eine Wirkung zu verzeichnen ist. Wenn Patienten schon nach wenigen Tagen von einem Erfolg berichten, handelt es sich meist um einen Plazeboeffekt.

Eingeteilt werden die Antidepressiva nach ihrem jeweiligen Wirkort am Neurotransmittersystem. Das erklärt die unterschiedlichen Wirkprofile und die vielen Nebenwirkungen. Und es macht es schwierig, das richtige Präparat für den einzelnen Patienten zu finden. Berücksichtigt werden muss die individuelle Verträglichkeit unter Beachtung der Komorbidität und Interaktionen. Erschwerend kommt hinzu, dass bei Verordnung von Medikamenten immer auch die eigene Erfahrung mit dem Präparat eine Rolle spielt.

Die trizyklischen Antidepressiva greifen in mehrere Neurotransmittersysteme ein und werden wiederum unterteilt in Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (Clomipramin), Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (Desipramin und Nortriptylin) sowie auf beide wirkend (Amitriptylin, Doxepin und Imipramin). Da sie auch auf den Histaminrezeptor wirken, haben sie einen sedierenden Effekt, sodass sie gerne bei Schlafstörungen eingesetzt werden. Zu bedenken sind die daraus resultierende unerwünschten Wirkungen wie eingeschränkte Fahrtauglichkeit und Sturzgefahr! Als Besonderheit ist die Wirkung des schmerzdistanzierenden Effektes des Amitriptylins zu erwähnen, dessen Effekt nach sieben bis zehn Tagen einsetzt.

Die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wirken in Abhängigkeit von der Schwere der Depression und werden gerne bei Angst- und Zwangsstörungen verordnet. Als Nebenwirkung muss hier die erhöhte Suizidalität, gerade bei Jugendlichen, erwähnt werden. Das Serotonin-Syndrom (siehe Tabelle 2) kann bei gleichzeitiger Gabe von Triptanen oder anderen Antidepressiva auftreten.

Selektive Serotonin/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) haben gegenüber den SSRI keine wesentlichen Vorteile. Das Duloxetin findet seinen Einsatz in der Polyneuropathie. Nachteil hier ist die hohe Hepatotoxizität.

Selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) werden bei schwerster Depression und Versagen anderer Depressiva bevorzugt. Bupropion als Dopamin/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer hat weniger Nebenwirkungen im Sexualbereich.

MAO-Hemmer bleiben in der Therapieindikation doch eher dem Neurologen/Psychiater überlassen. Indikation, wie auch bei den SNRI, sind die Therapieversager. Bei Einsatz dieses Präparates muss man wissen, dass durch eine Tyraminabbauhemmung, z. B. bei Genuss von Käse, Bluthochdruckkrisen ausgelöst werden können. Auch wegen der Gefahr einer Hyperthermie und des Auftretens von Myoklonien sollte zwischen der Einnahme der MAO-Hemmer und anderen Antidepressiva mindestens ein Intervall von zwei Wochen liegen.

Bei Einsatz von Phytopharmaka (Johanniskraut) ist mit Wechselwirkungen mit Antikonzeptiva und Immunsuppressiva zu rechnen, die auch über das Cytochrom 450 verstoffwechselt werden. Phasenprophylaktika finden ihren Einsatz in der Stimmungsstabilisierung zur Verhinderung neuer Krankheitsphasen, insbesondere zur Vermeidung affektiver Störungen, wieder.

Bezogen auf die Indikation – nicht auf die Nebenwirkungsrate – haben die trizyklischen Antidepressiva gegenüber den moderneren Wirkstoffen keine wesentlichen Nachteile. Die Nebenwirkungen sind vielschichtig und bedürfen regelmäßiger Kontrollen. Gerade bei älteren Menschen ist die Indikation sehr streng zu stellen.

Das richtige Neuroleptikum auswählen

Bei der Vielfalt der vorhandenen Präparate fällt die Auswahl eines Neuroleptikums nicht wesentlich leichter (vgl. Tabelle 3). Letztlich gelten hier ähnliche Regeln wie bei den Antidepressiva. Neuroleptika sind Nervendämpfungsmittel mit antipsychotischer, sedierender und psychomotorischer Wirkung. Die Indikation sind Psychosen unterschiedlicher Ursache. Auch hier hängt die Wirkung vom individuellen Ansprechen des Betroffenen ab. Intellektuelle Fähigkeiten werden nicht beeinflusst. Nebenwirkungen sind wie bei den Antidepressiva vielfältig. Auffällig ist hierbei die Störung der Temperaturregulation!

Die klassischen und die modernen Neuroleptika unterscheiden sich in ihrer Wirkung. Während die klassischen Neuroleptika überwiegend auf die Positivsymptome wie Wahnideen, Halluzinationen, bizarres Verhalten und psychomotorische Erregung Einfluss nehmen, wirken die modernen Neuroleptika auch auf die Negativsymptome wie Antriebsstörungen, Affektabflachung, sprachliche Verarmung und vor allem sozialer Rückzug (Tabelle 4). Moderne Neuroleptika werden bevorzugt eingesetzt, wenn der Betroffene vermehrt unter extrapyramidalen Symptomen (EPS), also Dyskinesien jeglicher Art, leidet. Nachteile dieser Wirkstoffe sind deutliche Gewichtszunahmen sowie Blutbildveränderungen, sodass hier regelmäßige Laborkontrollen verpflichtend sind. Genau wie der Einsatz von Antidepressiva sollte die Indikation einer Neuroleptikatherapie gut überprüft werden, da auch hier die Nebenwirkungen die Lebensqualität stark beeinträchtigen können.

Die Therapie mit Psychopharmaka wird weiterhin für Diskussionsbedarf sorgen. Sie wird schwierig bleiben, nicht nur wegen der vielen Wirkstoffe. Der Plazeboeffekt ist nicht wegzudiskutieren und die Bandbreite der Nebenwirkungen ist ein Problem, gerade für die ältere Bevölkerung. Die Indikation zur Therapie mit einem Psychopharmakon sollte sehr gut überlegt sein. Weitere Therapieoptionen müssen mit einbezogen werden. Um den Wald vor lauter Bäumen besser sehen zu können, sollte sich der Hausarzt auf wenige Präparate konzentrieren, mit denen er Erfahrung gesammelt hat.

Literatur bei der Verfasserin

Interessenkonflikte: keine deklariert


Anke Richter


Kontakt:
Anke Richter, Fachärztin für Innere Medizin, Hausärztliche Versorgung, Palliativmedizin, Hausärztliche Geriatrie, 32549 Bad Oeynhausen

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2013; 35 (15) Seite 43-56