Das ärztliche Gespräch beinhaltet schwierige Themen, wenn Vor- und Nachteile einer Behandlung erörtert oder Diagnosen übermittelt werden. Daher birgt die Arzt-Patient-Interaktion, die starke positive Effekte zeigen kann, immer auch ein Risiko für die Entstehung von unspezifischen Nebenwirkungen. Ärzte sollten daher im Gespräch mit dem Patienten im Auge behalten, welche Reaktion und welche Erwartungen sein eigenes Handeln beim Patienten hervorrufen wird, empfehlen die beiden Psychologen Dr. Bettina K. Doering und Prof. Dr. Winfried Rief.


Jede Patientenbehandlung wird von behandlungsspezifischen und -unspezifischen Wirkungen begleitet. Die positiven, behandlungsunspezifischen Effekte werden als Plazebo-Effekt bezeichnet und sind aus klinischen Studien bekannt. Hoffnung auf Heilung, positive Erwartungen des Patienten an die Behandlung und die Interaktion mit dem Behandler wurden als Wirkfaktoren des Plazebo-Effektes identifiziert, die dazu beitragen können, dass Beschwerden sich bessern. Durch experimentelle Manipulation der Interaktionen mit dem Behandler und durch Bildgebungsstudien wurde gezeigt, dass ärztliche Gespräche, die eine Behandlung begleiten, sich durch neurophysiologische und andere biologische Mechanismen auf die Gesundheit und den Behandlungsverlauf des Patienten auswirken. In letzter Zeit wächst aber auch das Bewusstsein dafür, dass jede Behandlung ein Potenzial für schädliche unspezifische Wirkungen, d. h. für Nozebo-Effekte, besitzt.

Die Wortwahl kann entscheidend sein

Wenn ein Patient den Arzt aufsucht, folgt ein diagnostischer Prozess. Anamnese und Exploration werden durchgeführt und medizinische Tests angeordnet. Es ist die Verantwortung des Arztes, keinesfalls eine bedrohliche Erkrankung zu übersehen. Daher werden Tests angeordnet, die dem Ausschluss eher unwahrscheinlicher, aber schwerwiegender Erkrankungen dienen, auch wenn die typischen Beschwerden, die zu Arztbesuchen führen, meist keine lebensbedrohliche Ursache haben. Dieser Prozess kann den Patienten verängstigen und das Auftreten von Nozebo-Effekten und einen ungünstigen Symptomverlauf fördern. Insbesondere ist das der Fall, wenn Testergebnisse dem Patienten in einer Fachsprache zurückgemeldet werden („Der Befund ist negativ“), die dem Patienten nicht verständlich ist [1] und die zu einer negativen Erwartung bezüglich des weiteren Krankheitsverlaufs beiträgt.

Ein solcher Nozebo-Effekt diagnostischer Untersuchungen zeigte sich beispielhaft in der experimentellen Manipulation einer medizinischen Standardsituation. Bei Patienten mit unklaren Brustschmerzen wurde ein Belastungs-EKG zum Ausschluss schwerwiegender kardiologischer Erkrankungen angesetzt. Eine Patientengruppe erhielt keine weitere Information und wartete einige Tage auf den Untersuchungstermin. Für die meisten Patienten ergab die Untersuchung, dass der Herzmuskel gesund war. Trotzdem wirkte diese Nachricht nicht beruhigend und die Patienten berichteten auch Monate später noch über Brustschmerzen. Die andere Patientengruppe erhielt vor dem EKG weitere Informationen, z. B. den Hinweis auf ungefährliche andere potenzielle Auslöser für ihre Schmerzen, und die Information, dass das wahrscheinlichste Ergebnis der Untersuchung harmlos sein würde. Diese Gruppe ließ sich durch die spätere Untersuchung beruhigen und berichtete im Verlauf der Monate deutlich weniger Brustschmerzen [2].

Nebenwirkungen herbeireden

Aus plazebokontrollierten klinischen Studien ist bekannt, dass auch in den Plazebo-Gruppen der Studien häufig Nebenwirkungen auftreten, die von den Patienten auf das „Medikament“ zurückgeführt werden. Diese Nozebo-Effekte können so stark sein, dass aufgrund der Nebenwirkungen die Studienteilnahme beendet wird; die entsprechenden Abbrecherraten sind substanziell und teils ähnlich hoch wie in den Verumgruppen der Studien [3–6]. Insbesondere die Information, welche Nebenwirkungen bei einer bestimmten Behandlung zu erwarten sind, beeinflusst das Auftreten der entsprechenden Nebenwirkung [7]. Metaanalysen zeigen, dass Patientinnen in Antidepressiva-Studien mit Trizyklika-Gabe deutlich mehr Nebenwirkungen berichten als Patientinnen in SSRI-Studien, obwohl beide Gruppen nur Plazebos erhielten [4]. Und auch Metaanalysen zur Behandlung von Multipler Sklerose ergeben eine Profilspezifität der Nebenwirkungen in den Plazebogruppen: Die „typischen“ Nebenwirkungen in der Plazebogruppe entsprachen denen, die durch das Verum zu erwarten gewesen wären [8].

In der ärztlichen Praxis ist die Aufklärung über Nebenwirkungen einer Behandlung im Rahmen des „shared decision making“ Modells verpflichtend. Sie soll das Autonomieprinzip schützen und beinhaltet, dass der Arzt ausführlich die möglichen Nebenwirkungen einer Behandlung erläutert. Oft wird dabei vernachlässigt, dass dieses Vorgehen das ethische Prinzip der Non-Malefizienz gefährden kann – durch die Information zu einer potenziellen Nebenwirkung kann genau diese Nebenwirkung erzeugt werden, wie experimentelle Studien zeigen. Beispiele zur medikamentösen Behandlung von benigner Prostata-Hypertrophie [9] und von Asthma [10] demonstrieren, dass Patienten, die über eine bestimmte Nebenwirkung des Medikaments informiert worden waren, diese Nebenwirkung signifikant häufiger erlebten als Patienten, die auf diese spezielle Nebenwirkung nicht hingewiesen worden waren.

Vom Schmerz sprechen tut weh

Die ärztliche Behandlung umfasst teils unangenehme oder schmerzhafte Prozeduren. Im ärztlichen Gespräch, das diesen Prozeduren vorausgeht, und der Interaktion, die sie begleitet, versuchen viele Ärzte durch eine Beschreibung der nächsten Behandlungsschritte die Prozedur erträglicher für den Patienten zu machen. Der Patient soll auf einsetzende Schmerzen vorbereitet sein, um sie besser bewältigen zu können. Erste Untersuchungen zeigen aber, dass dieses Vorgehen kontraproduktiv sein kann. Durch die Ankündigung eines Schmerzreizes werden dieselben Gehirnstrukturen aktiviert wie durch den Schmerz selbst [11].

Die Erwartung eines Schmerzreizes kann so die Wahrnehmung des realen Schmerzreizes intensivieren. Auch subjektiv berichten die Patienten mehr Schmerz, wenn direkt zuvor eine Warnung („Gleich tut es weh“) gegeben wurde. Empathische Bemerkungen, die die Aufmerksamkeit der Patienten vermutlich auf den Schmerz lenkten, waren ebenfalls begleitet von einer gesteigerten Schmerzwahrnehmung [12]. Eine andere Studie zeigte, dass die Ankündigung einer schmerzhaften Injektion zu weniger Schmerzwahrnehmung führte, wenn sie inhaltlich auf die positive Wirkung der Injektion (Betäubung) fokussierte und nicht auf das negative Erleben, das die Injektion begleitete (Schmerz) [13].

Verantwortliches Handeln ist gefragt

Die genannten Beispiele verdeutlichen das Nebenwirkungspotenzial der Arzt-Patient-Interaktion. Selbst eine kurze Interaktion, ein achtlos gesprochener Satz, kann dauerhafte negative Konsequenzen für den Patienten haben. Gleichzeitig soll aber das positive Potenzial des ärztlichen Gesprächs dadurch ebenfalls deutlich werden. Jedes ärztliche Gespräch kann Patientenerwartungen und Patientenwohlbefinden beeinflussen. Dadurch ergibt sich eine besondere ethische Verantwortung.

Die aufgeführten Studienergebnisse machen möglicherweise unsicher, wie der Arzt dieser Verantwortung gerecht werden kann. Welche Informationen über Nebenwirkungen ein Aufklärungsgespräch enthalten muss, um die Balance zwischen Autonomie und Non-Malefizienz zu wahren, muss in ethischen Richtlinien präzisiert werden. Inflationär ausgedehnte Nebenwirkungslisten auf Beipackzetteln stellen keinen sinnvollen Umgang mit diesem Problem dar. Aber auch die Forschung ist gefragt, Ärzten klare Handlungsanweisungen für das Gesprächsverhalten zu geben. Der Arzt muss für ein medizinisch verantwortliches Handeln stets die „schlimmste Möglichkeit“ beachten, um angemessen zu reagieren. Wahrscheinlich ist es aber besser, diesen „pessimistischen“ Analysestil nicht mit dem Patienten zu teilen, um ihn nicht zu verunsichern. Dies erfordert vonseiten des Arztes eine ständige Reflektion, welche Reaktion und welche Erwartungen sein eigenes Handeln beim Patienten hervorrufen wird. Wir beginnen erst, die Tragweite des darin liegenden Potenzials abzuschätzen.


Kontakt
Dr. Bettina K. Doering und Prof. Dr. Winfried Rief
Philipps-Universität Marburg
Klinische Psychologie und Psychotherapie
35032 Marburg

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2013; 35 (2) Seite 60-61