Immer mehr ältere und zum Teil auch hochbetagte Menschen treten eine Flugreise an. In höherem Alter ist mit verschiedenen (chronischen) Erkrankungen sowie mit Einschränkungen der Mobilität zu rechnen. Mit welchen Gefahren ist der längere Aufenthalt in einer Flugzeugkabine verbunden? Wie beurteilt man die Flugreisetauglichkeit? Und welche Konsequenzen hat ein Notfall an Bord? Auf diese Fragen ging Dr. med. Andreas Gabel vom Aeromedical Center Frankfurt beim MSD-Forum „Die Hausarztpraxis im Fokus“ ein.

In Deutschland sind derzeit 16,9 Millionen Menschen (21 %) über 65 Jahre alt, Tendenz steigend. Früher hatten Fluggesellschaften grundsätzlich das Recht, eine Beförderung zu verweigern. Heute geht das nicht mehr, erklärt Dr. Gabel. Laut einer EU-Verordnung vom 5.7.2006 über die Rechte von behinderten Menschen und Flugreisenden mit eingeschränkter Mobilität ist den Luftfahrtunternehmen untersagt, die Buchung oder Beförderung einer Person wegen deren eingeschränkter Mobilität oder Behinderung abzulehnen. Allerdings darf der sichere und pünktliche Betrieb des Flugzeugs nicht gefährdet sein. Das Luftfahrtunternehmen darf deshalb z. B. verlangen, dass die behinderte Person durch eine andere Hilfs-Person begleitet wird.

Tödlicher Notfall an Bord

Bei einem lebensbedrohlichen Notfall ist die Crew darauf angewiesen, dass sich ein zufällig an Bord befindlicher Arzt als Helfer zur Verfügung stellt. Ist dies nicht der Fall, kann das dramatische Folgen haben, wie der folgende Fall zeigt.

Auf einem Flug von Frankfurt nach Chicago klagt ein Patient um 18:00 Uhr über akute Stenokardie. Um 18:05 Uhr wird ein Arzt ausgerufen, ohne Erfolg. Um 18:07 Uhr ist der Patient nicht mehr ansprechbar, ist blass und weist Schockzeichen auf. Um 18:07 Uhr ist das Notfallequipment einsatzbereit, der AED angelegt und eingeschaltet. Im EKG ist eine ST-Strecken-Hebung zu sehen. Um 18:20 Uhr werden die ST-Hebungen wesentlich akzentuierter und ein Erstickungs-T wird sichtbar. Um 18:21 Uhr kommt es zur terminalen Arrhythmie, R-Verlust der Kammerkomplexe und ektopen Extrasystolen. Schließlich verstirbt der Patient, ohne dass eine Herzdruckmassage versucht wurde, ein Arzt stand nicht zur Verfügung. Wäre ein Arzt an Bord gewesen, hätte man durch Reanimation und Einsatz der vorhandenen Notfallmedikamente eventuell noch rechtzeitig den nächsten Flughafen erreichen können.


Notfälle an Bord

Ereignet sich ein medizinischer Notfall an Bord, erfolgt häufig der Ausruf: „Ist ein Arzt an Bord?“ Auch Sie könnten also durchaus einmal in die Situation kommen, Erste Hilfe leisten zu müssen. In der räumlichen Enge einer Flugzeugkabine ist das gar nicht so einfach, wenn es z. B. nötig ist, einen bewusstlosen oder krampfenden Patienten aus der Sitzreihe in den Gang zu befördern oder zu reanimieren. Aus entsprechenden Übungskursen weiß man, dass es in einer solchen Situation schnell zu einem Organisationschaos kommen kann (Abb. 1). Was die Reanimation angeht, so empfiehlt Dr. Gabel die sogenannte Dreigestirnposition (Abb. 2). Dabei steht der Kommandant, der auch die Beatmung macht, am Kopf, rechts daneben der Helfer, der Equipment bzw. Medikamente anreichen kann, und links der Helfer, der die Herzdruckmassage macht.

Häufigkeit und Art von Notfällen

Wie oft kommt es zu einem Notfall an Bord? Im Jahr 2008 wurden vom Aeromedical Center 1 676 medizinische Zwischenfälle registriert, 1 439 davon auf Interkontinental- und 237 auf Kontinentalflügen. In 82 % war Hilfe durch einen Arzt oder eine Pflegeperson erforderlich. Sieben Personen sind an Bord verstorben. In 52 Fällen war eine Zwischenlandung erforderlich. Die Anzahl der Notfälle an Bord hat von 2001 bis 2008 zugenommen, was auf ein zunehmend älteres Klientel mit häufigeren Erkrankungen zurückzuführen ist, so Dr. Gabel. Und welcher Art sind die Notfälle an Bord? Mit Abstand an der Spitze mit einem guten Drittel der Fälle steht der banale Kreislaufkollaps, gefolgt von Magen-Darm-Beschwerden (ca. 10 %), Schmerzzuständen (ca. 7 %) und Herzbeschwerden (ca. 5 %). Herzinfarkte sind dagegen mit wenigen Fällen im Jahr ein seltenes Ereignis. Luftnot (ca. 2 bis 3 %) und Hyperventilation (unter 1 %) können durch Flugangst getriggert werden. Eine Analyse der Flight-Reports durch das Aeromedical Center ergab in 89 % der Fälle banale Situationen und in 11 % vital bedrohliche Situationen, die am Boden einen Transport per Notarztwagen nach sich gezogen hätten.

Konsequenzen für den Flug

Welche Überlegungen stellt der Pilot bei einem Notfall an Bord an, wenn es heißt: Wir müssen sofort runter? Beim Take-off ist der Flieger üblicherweise vollgetankt. Wäre er gezwungen, kurz nach dem Start wieder zu landen, würde er das dafür zulässige Gewicht deutlich überschreiten und müsste vorher einige Tonnen an Benzin ablassen. Ein Beispiel: Eine vollgetankte Boeing 747 startet mit 392 Tonnen und wiegt eine Stunde nach dem Start noch 360 Tonnen. Das maximal zulässige Landegewicht beträgt aber nur 285 Tonnen, so dass also mindestens 75 Tonnen abgelassen werden müssen. Das geht aber nicht von jetzt auf gleich, sondern dauert ca. 40 Minuten. Deshalb wird ein Flugzeug bei einem Notfall gleich nach dem Start in aller Regel nicht wieder umkehren, sondern weiterfliegen zum nächsten innerhalb der benötigten „Ablasszeit“ erreichbaren Flughafen. Die Kosten allein für den abgelassenen Treibstoff betragen etwa 48 000 Euro. Das „Gesamtpaket“ einer außerplanmäßigen Zwischenlandung beläuft sich im Mittel (hängt von der Größe der Maschine ab) auf 200 000 Euro.

Kein Wunder, dass der medizinische Dienst der Lufthansa alles daran setzt, um solche Situationen von vornherein zu vermeiden. Zum einen sollen durch fliegerärztliche Beratung und Evaluation von Risikopatienten absehbare Komplikationen verhindert werden, indem man z. B. bei COPD-Patienten die Oxygenierungssituation optimiert. Zum anderen steht an Bord eine umfassende Notfallausrüstung zur Deeskalation und Stabilisierung lebensbedrohlicher Erkrankungen zur Verfügung. Lufthansa orientiert sich dabei am NAW-Standard und hält z. B. ein komplettes Notfall-Ampullarium (Abb. 3) bereit. Das Doctor‘s Kit ist modulartig aufgebaut (Abb. 4), es gibt die Module „Diagnostik“, „Infusion“, „Blasenkatheter“, „Absaugung“, „Intubation“ und „Beatmung“. Auch Sauerstoff ist an Bord verfügbar. Fast alle Flugzeuge sind überdies inzwischen mit einem AED ausgestattet, im amerikanischen Luftraum ist dies bereits verpflichtend, im europäischen vermutlich in Bälde. Patienten mit chronischen Erkrankungen wie z. B. COPD können Sauerstoff dazu buchen (Abb. 5), die Größe ist angelegt für eine kontinuierliche Sauerstoffgabe von bis zu 14 Stunden.

Reisemedizinische Beratung

Der Sauerstoffpartialdruck nimmt exponentiell mit steigender Höhe ab. Die Kabinendruckhöhe entspricht dem Druck in 2 438 m Höhe, der Sauerstoffpartialdruck liegt damit bei 70 mmHg, die Sauerstoffsättigung bei 90 %. Als Faustregel kann man sagen: Alle Druckwerte haben sich um etwa ein Viertel gegenüber Bodenniveau reduziert. Wenn wir von Bodendruck auf Kabinendruckhöhe aufsteigen, verlieren wir etwa 30 mmHg an Sauerstoffpartialdruck des Blutes. Für einen gesunden Menschen ist das kein Problem, so Dr. Gabel. Ein Patient mit COPD mit sowieso schon erniedrigtem Sauerstoffpartialdruck gelangt dann aber in einen kritischen Bereich.

Wie die Reisetauglichkeit von Patienten mit pneumologischen Erkrankungen, Anämie, Infektionskrankheiten oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu beurteilen ist, wird in der Tabelle dargestellt. ▪

Dr. med. Vera Seifert


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2013; (9) Seite 24-28