Bei Patienten unter Antikoagulanzientherapie ist das Operationsrisiko immer erhöht. Die optimale Therapieumstellung solcher Patienten im Vorfeld des operativen Eingriffs zählt zu den ureigensten Aufgaben des Hausarztes. Dieses Bridging erfordert eine individuelle Abschätzung zwischen Blutungsgefahr und Thromboembolierisiko, erläuterte Dr. med. Dirk Wetzel in seinem Workshop „Gerinnungsmanagement“ auf der diesjährigen practica.

Der Zweck des Bridgings ist es, die Zeit ohne eine Antikoagulation so kurz wie möglich zu halten. Grundsätzlich muss man beim Bridging zwischen jenen Patienten unterscheiden, die Vitamin-K-Antagonisten (VKA) wie Marcumar®, Falithrom® oder Phenpro® einnehmen, und solchen, die Thrombozytenaggregationshemmer (TAH) wie ASS oder Clopidogrel verwenden. Bei der Vorgehensweise kann man sich nach bestimmten Leitlinien richten. Wetzel weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass diese nicht unbedingt als apodiktische Empfehlungen zu verstehen sind.

Bridging bei Patienten mit oralen Antikoagulanzien

Sinnvollerweise sollte man für das Bridging Präparate einsetzen, die kürzere Halbwertszeiten als die oralen Antikoagulanzien (OAK) aufweisen. Wissenschaftlich am besten belegt sind hier die niedermolekularen Heparine (NMH). Allerdings ist in Deutschland nur unfraktioniertes Heparin (UFH) zugelassen. Die NMH können und sollten aber im Off-Label-Use eingesetzt werden. Diese Anwendung der NMH ist juristisch abgedeckt und auch seitens der Kassenärztlichen Vereinigungen droht kein Regress, erklärt Wetzel. Beachten muss man aber, dass man den Patienten vorab informiert und ausführlich über diese Zusammenhänge aufklärt.

Individuelle Risikoabschätzung bestimmt das Vorgehen

Beim Bridging muss immer eine individuelle Entscheidung getroffen werden, die das auf den Eingriff bezogene Blutungsrisiko und das auf den jeweiligen Patienten bezogene Thromboembolierisiko gegeneinander abwägt (Abb. 1). Das eingriffsbezogene Blutungsrisiko ist im Prinzip Sache des Operateurs. Nicht immer aber ist dieses Risiko exakt planbar. So kann es auch bei einer Koloskopie ohne Polypektomie, einer Koronarangiographie oder einem minimalinvasiven Eingriff doch zu größeren Blutungsereignissen kommen.

Bei der Beurteilung des individuellen Thromboserisikos muss man zwischen den Hauptindikationen zur OAK wie Vorhofflimmern, mechanischem Herzklappenersatz und Zustand nach venöser Thrombose/Embolie unterscheiden. Danach richtet sich das weitere Vorgehen.

Bei allen Indikationen kann man sich für die Risikoabschätzung zum Beispiel am CHADS2-Score orientieren:

Congestive Heart Failure (Herzinsuffizienz): 1 Punkt

Hypertension (Hypertonie): 1 Punkt

Age (Alter) > 75 Jahre: 1 Punkt

Diabetes mellitus: 1 Punkt

Stroke (Z. n. Apoplex/TIA): 2 Punkte

Wann ist das Risiko hoch, wann niedrig?

Ein hohes Risiko ergibt sich bei vorliegendem Vorhofflimmern und einem CHADS-Wert von 5 bis 6. Bei Vorhofflimmern in Verbindung mit einem CHADS-Wert von 3 bis 4 spricht man von einem mittleren Risiko. CHADS-Werte zwischen 0 und 2 (und wenn noch nie TIA oder Apoplex aufgetreten sind) gelten als niedriges Risiko.

Beim Herzklappenersatz wird das Vorhandensein einer Mitralklappenprothese oder einer alten Aortenprothese (Käfig-Ball) als hohes Risiko bewertet. Eine Zweiflügel-Aortenprothese und ein CHADS-Wert > 0 bedeutet ein mittleres Risiko. Von einem niedrigen Risiko geht man bei einer Zweiflügel-Aortenprothese und einem CHADS-Wert von 0 aus.

Liegt eine venöse Thrombose/Embolie weniger als drei Monate zurück oder besteht eine schwere Thrombophilie, so stellt dies ein hohes Risiko dar. Ein mittleres Risiko liegt vor, wenn eine venöse Thrombose/Embolie drei bis zwölf Monate her ist oder eine mäßige Thrombophilie bzw. rezidivierende Ereignisse oder ein Tumorleiden vorhanden sind. Niedrig ist das individuelle Thromboembolierisiko, wenn eine venöse Thrombose/Embolie länger als zwölf Monate zurückliegt. Bei Hochrisiko-Patienten werden niedermolekulare Heparine in therapeutischer Dosis gegeben (z. B. Clexane® gewichtsadaptiert zweimal täglich, Mono-Embolex® zweimal 8 000 oder innohep® gewichtsadaptiert einmal täglich). Bei Niereninsuffizienz ist Mono-Embolex® allerdings kontraindiziert, bei anderen Präparaten muss man eventuell die Dosis reduzieren. Beim Vorliegen eines mittleren Risikos wird international die volle therapeutische Dosis an NMH empfohlen. Bei einem niedrigen Risiko ist oft gar kein Bridging erforderlich oder man verwendet nur eine niedrige Dosierung ähnlich der „chirurgischen“ Dosis, wie man sie bei gesunden Patienten vor einer Op. zur Thromboseprophylaxe einsetzt.

Wie geht man praktisch vor?

Sieben bis neun Tage vor dem Eingriff werden die oralen Antikoagulanzien abgesetzt (sollte die Op. doch früher erfolgen müssen, muss man eventuell zusätzlich 1 Milligramm Vitamin K geben). Vor der Op. sollte man noch einmal die INR (International Normalized Ratio) kontrollieren. Liegt der INR-Wert unter 2 bzw. außerhalb des therapeutischen Bereichs, kann man mit der NMH-Behandlung beginnen.

Die letzte Dosis erhält der Patient am Morgen des Op.-Vortags. Hier sollte bei Präparaten mit Einmalgabe die Dosis halbiert werden. Die erste Dosis nach dem Eingriff wird bei niedrigem Blutungsrisiko am ersten postoperativen Tag verabreicht, bei hohem Blutungsrisiko 48 bis 72 Stunden post-Op., wobei man hier am besten nach individueller Maßgabe vorgehen sollte. Überlappend kann man wieder mit der oralen Antikoagulation beginnen (Abb. 2).

Bridging bei Patienten mit TAH

Der wesentliche Risikoindikator ist hier das Koronarrisiko. Ein niedriges Risiko liegt bei chronisch asymptomatischer KHK oder einer Primärprävention mit Thrombozytenaggregationshemmern wie ASS oder Clopidogrel vor. Hoch ist das Risiko hingegen bei einer stabilen Angina pectoris oder einem akuten Koronarsyndrom in den letzten drei Monaten. Einen Sonderfall stellt der Zustand nach Stent-Implantation dar.

ASS oder Clopidogrel kann abgesetzt werden, wenn man dies für erforderlich hält. Die Leitlinien sind hier etwas schwammig, beklagt Wetzel. Laut der Empfehlungen sollten TAH sieben bis zehn Tage vor dem Eingriff abgesetzt und möglichst innerhalb von 24 Stunden danach wieder angesetzt werden. Man geht dabei so vor, dass die TAH bei niedrigem Risiko perioperativ abgesetzt werden. Doch auch ein Patient, der eigentlich nur eine asymptomatische KHK hat, kann durch weitere Risikofaktoren zum Hochrisiko-Patienten werden, gibt Wetzel zu bedenken. Deshalb müsse auch hier die Entscheidung nach individuellen Gesichtspunkten getroffen werden. Bei hohem Risiko (und auch bei einer koronaren Bypass-Op.) sollte man ASS möglichst weiter geben, Clopidogrel hingegen mindestens fünf, besser sogar zehn Tage vorher absetzen.

Das oben beschriebene Prozedere gilt allerdings nicht bei dualer TAH wegen eines Stents. In der Regel führt man die duale Plättchenhemmung bei unbeschichteten Stents innerhalb von sechs Wochen nach Implantation durch, bei beschichteten Stents innerhalb von zwölf Monaten nach Implantation. Wird in diesem Zeitraum eine Op. erforderlich, sollte man die Therapie mit ASS und Clopidogrel fortführen, dabei aber möglichst einen Kardiologen in die Entscheidung einbeziehen. Empfehlenswert ist es jedoch, so Wetzel, diese Patienten in eine Klinik zur Op. zu überweisen, wo man dann gegebenenfalls kardiologisch interventionell tätig werden kann. Die Aufgabe des Hausarztes besteht dann darin, den Operateur auf das erhöhte Risiko des Patienten aufmerksam zu machen.

Dr. Ingolf Dürr


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2010; 32 (20) Seite 36-38