Eine Mittelohrentzündung (MOE) kann akut oder chronisch verlaufen. Am Anfang einer Mittelohrerkrankung steht meist eine Funktionsstörung der Ohrtrompete (Tuba Eustachii). Je nach Verlaufsform unterscheidet sich der Therapieansatz grundsätzlich. Bei einer akuten Mittelohrentzündung ist die Therapie in der Regel medikamentös. Dagegen ist bei einer chronischen Erkrankung eine operative Therapie erforderlich.

Patienten berichten häufig bei einem Infekt der oberen Atemwege über einen gedämpften Höreindruck bzw. das Gefühl von Wasser im Ohr. Die Ursache ist eine Tubenfunktionsstörung mit der Folge, dass das Mittelohr nicht mehr belüftet wird. Es entsteht ein Unterdruck im Mittelohr, der eine Trommelfellretraktion und ein Schleimhautödem mit Sekretbildung nach sich zieht.

Bei der Ohrmikroskopie zeigt sich ein Sekretspiegel, manchmal mit Blasenbildung hinter dem reizlosen Trommelfell (Abb. 1). Tipp: Obturierendes Zerumen lässt sich gut mit 3%igem H2O2 als Ohrtropfen aufweichen. Die Therapie der ersten Wahl sind abschwellende Nasentropfen, Dampfinhalation sowie der Versuch des Druckausgleichs über das Valsalva-Manöver. Bei chronischen Tubenventilationsstörungen können prophylaktische Valsalva-Manöver helfen, bei Kindern mittels Luftballon (Otobar®, Otovent®).

Eine chronische Insuffizienz der Belüftung der Pauke über die Eustachische Röhre verursacht einen persistierenden Unterdruck. Dieser führt zur chronischen Retraktion des Trommelfells und Schleimhautsekretion. Mit der Zeit wird der Wassergehalt des Sekretes aufgrund von Resorption verringert und dadurch die Konsistenz viskös. Ursachen können eine Hyperplasie der Rachenmandel, eine chronische Rhinosinusitis, aber auch Neubildungen oder Fehlbildungen sein. Die Patienten beklagen Druck im Ohr, Schwerhörigkeit, gelegentlich Ohrschmerzen.

Die Therapie sollte eine Sanierung der Grunderkrankung (z. B. Adenotomie bei Kindern) und operative Maßnahmen zur Verbesserung der Paukenbelüftung, d. h. eine Parazentese (Schnitt im Trommelfell) und ggf. die Einlage eines Paukenröhrchens beinhalten (Übersicht 1 und 2).

Klassischer Verlauf

Eine Mutter ruft am Wochenende besorgt im Notdienst an und berichtet über akute Ohrenschmerzen bei ihrer dreijährigen Tochter. Sie schildert, dass das Kind seit einigen Tagen einen Infekt habe und dann in der Nacht heftige Ohrenschmerzen linksseitig hinzukamen. Seit dem Morgen würde Sekret aus dem linken Gehörgang laufen. Die Schmerzen hätten seitdem nachgelassen.

Bei einem solchen Verlauf handelt es sich meist um bakterielle Infekte durch Haemophilus influenzae oder Pneumokokken.

Klinisch zeigt sich bei der Ohrmikroskopie ein gerötetes, meist verdicktes und durch Sekret vorgewölbtes Trommelfell (Abb. 2). Die Therapie besteht aus abschwellenden Nasentropfen, Analgetika und Antipyretika. Die Gabe systemischer Antibiotika, z. B. Amoxicillin oder Cephalosporine, ist in der Frühphase meist nicht notwendig. Die Indikation sollte jedoch gerade bei Kleinkindern kurzfristig überprüft werden.

Chronische Mittelohrentzündung

Wenn das „Ohr“ ständig „läuft“, muss an eine chronische Mittelohrentzündung gedacht werden. Diese kann allein die Schleimhaut, aber auch den Knochen (Cholesteatom) befallen. Die chronische Schleimhauteiterung entsteht bei einer persistierenden Perforation des gespannten Trommelfell­anteils (Pars tensa). Der Defekt kann infolge von abgelaufenen Entzündungen, mechanischen oder Barotraumen oder iatrogen entstanden sein. Kommt es zu einer Epithelialisation der Defektränder durch das Plattenepithel des Trommelfells, bleibt die Defektausheilung aus (Abb. 3).

Eine bakterielle Infektion des Mittelohres von außen, aber auch die Schleimhautsekretion aus dem Mittelohr, führen zur Sekretion aus dem Gehörgang. Zusätzlich kann es zu einer Arrosion oder Verkalkung der Gehörknöchelchenkette kommen. Ohrmikroskopisch zeigt sich eine Perforation, diese kann trocken und reizlos, aber auch stark granulierend und sekretierend sein.

Eine systemische Antibiose ist meist nur bei Risikopatienten (immunsupprimierte Patienten oder Diabetiker) notwendig. Die sanierende Therapie der chronischen Schleimhauteiterung erfolgt chirurgisch durch Rekonstruktion des Trommelfells und ggf. der Gehörknöchelchenkette.

Eine Prävention der chronischen Schleimhauteiterung ist im Kindesalter durch Behandlung von Ventilationsstörungen des Mittelohres möglich. HNO-ärztliche Kontrolle bei Neigung zur MOE und ggf. die Beseitigung der Ursachen von Tubenventilationsstörungen sind die beste Prophylaxe. Bei Kindern kann die Verwendung eines mit der Nase aufzublasenden Luftballons (Otobar®, Otovent® etc.) zur Verbesserung der Tubenfunktion sinnvoll sein.

Die schwerwiegendste Form einer chronischen MOE ist die chronische Knocheneiterung. Dabei kommt es zur Invasion von verhornendem Plattenepithel des Trommelfells, meist im Bereich der Pars flaccida, in die Schleimhautbereiche des Mastoids. Die Einwanderung des Epithels kann Folge von abgelaufenen Entzündungen, chronischem Unterdruck oder mechanischen Traumata sein. Es bildet häufig eine glattbegrenzte Struktur (Cholesteatom), dessen Inhalt abgestoßene Hornschuppen darstellen. Nach außen werden osteoklastische Enzyme abgegeben, die den umliegenden Knochen zerstören. Die enzymatischen Abbauprodukte führen zu rezidivierender foetider Sekretion aus dem Gehörgang.

Chronische Knocheneiterung

Da die Entzündung keine Schmerzen verursacht, kann sie sich als Erstes durch Komplikationen wie Schwerhörigkeit, Schwindel und Erbrechen sowie durch eine Fazialisparese bemerkbar machen. In der Ohrmikroskopie zeigt sich eine epitympanale randständige Einziehung des Trommelfells (Abb. 4). Die Behandlung der chronischen Knocheneiterung ist genauso wie bei der Schleimhauteiterung eine Domäne der Mittelohrchirurgie.

Obligate Maßnahmen bestehen darin, das Platten­epithel aus dem Schleimhautbereich vollständig zu entfernen und eine stabile Grenze zwischen Schleimhaut und Plattenepithel zu schaffen.

Das sekundäre Ziel ist die Hörverbesserung. Bei hoher Rezidivgefahr (v. a. bei Kindern) wird häufig eine mehrzeitige operative Strategie gewählt. Beim Erst­eingriff erfolgt die Cholesteatomentfernung, beim zweiten Schritt zehn bis zwölf Monate später der Rezidivausschluss und die Kettenrekonstruktion.

Die Komplikationen der chronischen MOE betreffen die umliegenden anatomischen Strukturen. Neben einer Mastoiditis mit Osteomyelitis, einer Labyrinthitis mit Schwindel und Schwerhörigkeit oder einer Fazialisparese sind lebensbedrohliche intrakranielle Komplikationen wie Meningitis, Enzephalitis und Hirnabszess oder Sinusvenenthrombosen möglich. Auch wenn diese im Antibiotikazeitalter sehr selten vorkommen, sind sie als Folgen einer prolongierten Mittelohrentzündung zu beachten.


Literatur
1. Bluestone, C.D. (Herausg.) Pediatric Otolaryngology, Vol. I, Saunders, 4. Aufl. 2003
2. Boenninghaus, H.-G., Lenarz, T., Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Springer, 12. Aufl., 2005
3. Zenner, H.-P. (Herausg.), Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Chapmann & Hall, 1997

Interessenkonflikte:
keine deklariert

Anika Ramuscak


Kontakt:
Anika Ramuscak
PD Dr. med. Assen Koitschev

Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde
Klinikum Stuttgart
70716 Stuttgart

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2011; 33 (12) Seite 40-42