Die Zöliakie ist laut aktuellen Daten offenbar nicht so selten wie bislang angenommen. Hinzu kommt, dass erste Symptome nicht nur bei Kindern, sondern größtenteils erst im Erwachsenenalter auftreten. Auch der Allgemeinarzt sollte also damit rechnen, bei einem Patienten mit Zöliakie als Erster die Diagnose stellen zu müssen. Mono- oder oligosymptomatische Verläufe erschweren diese Aufgabe jedoch.

Bei der Zöliakie (früher auch einheimische Sprue genannt) entwickelt sich eine Immunreaktion des intestinalen Immunsystems auf Gluten-Peptidsequenzen, die in bestimmten Getreidesorten enthalten sind. Dies führt zu einer Schädigung der intestinalen - insbesondere der duodenalen - Mukosa mit Zottenatrophie und Kryptenhyperplasie (Abb. 1) sowie zu einer Zunahme intraepithelialer Lymphozyten. Daraus resultiert ein Malabsorptionssyndrom, wie es sich in der klassischen klinischen Konstellation bei Zöliakie findet [1]. Etablierte Therapie ist die strikte Gluten-freie Diät (GFD), unter der bereits nach Wochen bis wenigen Monaten eine Normalisierung der Symptome zu erwarten ist.

Epidemiologische Studien der letzten 15 Jahre aus verschiedenen Ländern Europas belegen eine Prävalenz der Zöliakie, die mit ca. 1 % deutlich höher ist als bislang angenommen [3]. In diesen Studien basierte die Strategie, Zöliakiefälle zu identifizieren, ausnahmslos auf einem Screening klinisch weitestgehend unauffälliger Populationen. Es ergeben sich für den in der klinischen Grundversorgung tätigen Arzt daher eine Reihe von Fragen, die im Folgenden beantwortet werden sollen:

  1. Gibt es eine relevante Zöliakie-Dunkelziffer in Deutschland?
  2. Ist Zöliakie vorwiegend eine Erkrankung des Kindesalters?
  3. Welche Symptome stehen bei der Zöliakie im Vordergrund?
  4. Ist es wichtig, oligosymptomatische bzw. subklinische Verläufe einer Zöliakie aufzudecken?
  5. Was sind zuverlässige diagnostische Tests, die die Diagnose einer Zöliakie etablieren?

1. Gibt es eine relevante Zöliakie-­Dunkelziffer in Deutschland?

Inzwischen wurden Screeningstudien aus mehreren Ländern Europas (u. a. Finnland, Italien, Großbritannien, Tschechische Republik, Schweiz) veröffentlicht, die eine Prävalenz der Zöliakie von ca. 1 % belegen. Gerade in Deutschland, dem bevölkerungsreichsten Land der EU-Zone, sind valide epidemiologische Daten zur Zöliakie jedoch rar. Interessanterweise zeigten sich in zwei kleineren Kollektiven aus Dresden und Augsburg geringere Prävalenzen (0,2 bis 0,3 %) [3, 4]. Daher ist eine Schätzung der Zahl Zöliakiekranker in Deutschland schwierig. Klar ist allerdings, dass unabhängig von der genauen Prävalenz der Zöliakie in Deutschland die Zahl unentdeckter Fälle ein Mehrfaches über der Zahl etablierter Zöliakiediagnosen liegt.

2. Ist Zöliakie vorwiegend eine ­Erkrankung des Kindesalters?

Mit der Zunahme der Zöliakiediagnosen ist auch das durchschnittliche Alter der Patienten bei Erstdiagnose deutlich gestiegen (Abb. 2). So waren noch vor den 1980er Jahren fast 40 % der erstdiagnostizierten Zöliakiefälle Kinder, ein Anteil, der sich heutzutage auf nur noch ca. 10 % reduziert hat [2]. Diese Tatsache scheint uns für die hausärztliche Praxis von besonderer Bedeutung zu sein, da vermutlich die gedankliche Assoziation der Zöliakie mit dem Kindesalter ein wichtiger Kofaktor für die hohe Zöliakie-Dunkelziffer unter erwachsenen Zöli­akiebetroffenen ist.

3. Welche Symptome stehen bei der Zöliakie im Vordergrund?

Klassischerweise geht die Zöliakie mit einer chronischen, nicht-blutigen Diarrhoe sowie einem Malabsorptionssyndrom mit Körpergewichtsverlust, Steatorrhoe und verschiedenen Hypovitaminosen einher. Dies kann zu Osteomalazie (Vitamin-D-Mangel), Eisenmangelanämie, Gerinnungsstörungen (Vitamin-K-Mangel), Nachtblindheit (Vitamin-A-Mangel), Magnesiummangel, aber auch zu Hautveränderungen bei Zinkmangel führen. Ebenfalls charakteristisch ist das Auftreten eines sekundären Laktasemangels aufgrund der Zottenatrophie, der zur Laktoseintoleranz führt.

Aktuellen Daten zufolge ist ein großer Anteil der Patienten zum Zeitpunkt der Erstdiagnose erwachsen. Allerdings wissen wir inzwischen, dass in der Regel nur wenige, manchmal sogar nur eines der oben genannten Symptome zum Zeitpunkt der klinischen Präsentation vorliegen (sogenannter oligosymptomatischer Verlauf). Uncharakteristische abdominelle Beschwerden, die differenzialdiagnostisch an ein Reizdarmsyndrom denken lassen, können ebenfalls einziger klinischer Ausdruck einer Zöliakie sein. Bedeutsam ist auch, die Zöliakie in den erweiterten Algorithmus zur Abklärung erhöhter Transaminasen aufzunehmen. Ferner konnte u. a. mittels einer Reihe von Fallidentifikationssstudien die Bedeutung assoziierter Autoimmunerkrankungen für die Diagnose einer Zöliakie herausgearbeitet werden. So liegt bei ca. 10 % der Patienten mit einem Typ-1-Diabetes gleichzeitig eine Zöliakie vor. Ähnliches gilt für die Hashimoto-Thyreoiditis und in geringerer Ausprägung für eine Reihe anderer Autoimmunerkrankungen. Wahrscheinlichste Ursache für die auffällige stochastische Assoziation der genannten Autoimmunerkrankungen ist die in großen humangenetischen Studien entdeckte gemeinsame Immunpathogenese dieser Erkrankungen.

Aufgrund der Unterschätzung der Häufigkeit der Zöliakie zum einen und der relativen Symptomarmut zum anderen wird in diesem Zusammenhang häufig das Bild eines Zöliakie-Eisbergs gezeichnet, bei dem sich der Großteil der Fälle gewissermaßen im Verborgenen befindet. Tabelle 1 fasst die mit Zöliakie assoziierten klinischen Konstellationen zusammen.

4. Ist es wichtig, oligosymptomatische bzw. subklinische Verläufe einer Zöliakie zu diagnostizieren?

Unzweifelhaft bewiesen ist, dass Zöliakiepatienten mit apparentem Malabsorptionssyndrom von einer gluten-freien Diät bezüglich Morbidität und Mortalität deutlich profitieren. Häufige Komplikationen der untherapierten Zöliakie sind dabei die pathologischen Frakturen bei Osteomalazie und eine Eisenmangelanämie. Die Mortalität ist bei unbehandelter Zöliakie gegenüber Gesunden um das Sechsfache erhöht, was sich nach Einführung einer glutenfreien Diät in der Regel komplett nivelliert [5]. Die erhöhte Mortalität ist dabei u. a. auf ein mäßig erhöhtes Karzinom- und Lymphomrisiko zurückzuführen.

Schwieriger ist die Interpretation der Daten zur klinisch silenten Zöliakie. Eine Studie, bei der Patientenseren Jahrzehnte nach der Blutabnahme hinsichtlich einer Zöliakie untersucht werden konnten, zeigte eine deutlich erhöhte Mortalität in der Gruppe der retrospektiv erstdiagnostizierten und zeitlebens mutmaßlich silenten Zöliakie-Betroffenen [6]. Eine zweite Studie konnte jedoch keine erhöhte Mortalität bei älteren asymptomatischen Zöliakie-Betroffenen aufzeigen, fand aber erneut eine hohe Osteomalazierate [7].

Wir halten es in Zusammenschau der publizierten Ergebnisse aktuell für angezeigt, erwachsenen Patienten mit einer belegten klinisch oligo- bis asymptomatischen Zöliakie eine strikte GFD zu empfehlen.

5. Was sind zuverlässige diagnostische Tests, die die Diagnose einer Zöliakie etablieren?

Der beim ersten klinischen Verdacht auf eine Zöliakie sicherlich relevanteste Test ist die Serologie. Dabei steht dem Kliniker inzwischen ein ganzes Arsenal an Zöliakie-Antikörperserologien (zumeist IgA-Antikörper) zur Verfügung, die allerdings in ihrem Wert sehr unterschiedlich einzustufen sind. Die Serologien, die auf herkömmlichen Gliadinantikörpern basieren, sind inzwischen als obsolet anzusehen, da hier die Zahl sowohl falsch-negativer als auch falsch-positiver Befunde inakzeptabel hoch ist. In dieser Hinsicht überlegen ist der - ebenfalls ältere und arbeitsaufwendigere - Test auf Endomysium-IgA. Seit Identifikation des Autoantigens, das vom Endomysiumantikörper erkannt wird, sind die ELISA-basierten Tests zum Nachweis von Gewebstransglutaminase-IgA-Antikörpern sowohl qualitativ gut als auch weniger zeitaufwendig in der Durchführung. Kürzlich hinzugekommen sind Serologien für deamidiertes Gliadin, die in ersten Studien ähnliche diagnostische Genauigkeiten wie Transglutaminase-IgA-Serologien erreichen. Die klinische Erfahrung mit diesen Serologien ist aktuell jedoch noch limitiert, sodass sie bisher keinen sicheren Zugewinn bedeuten.

Bei Erwachsenen ist aus unserer Sicht die Ösophago-Gastro-Duodenoskopie weiterhin ein wichtiger Bestandteil in der Zöliakiediagnostik. Dabei werden mehrere (> 4) Mukosabiopsien aus dem Duodenum entnommen. Die histopathologische Untersuchung dieser Proben kann sowohl wichtige Differenzialdiagnosen zur Zöliakie klären als auch ein wertvoller Ausgangspunkt bei Patienten sein, die nur schlecht auf eine GFD ansprechen.

Zusammenfassung

Zusammenfassend ist die Zöliakie eine Erkrankung, die aktuell noch zu selten im Hausarztsetting diagnostiziert wird. Dies lässt sich sicherlich zumindest teilweise mit der sehr uneinheitlichen klinischen Präsentation eines großen Teils der Zöliakiefälle erklären. Hier kann erwartet werden, dass eine Ausweitung des Verdachts auf Zöliakie auf die o. g. klinischen Konstellationen eine erhebliche Verringerung der Dunkelziffer zur Folge hätte. Die am besten etablierten Verfahren zur Diagnose der Zöliakie sind die Bestimmung der Anti-Transglutaminase-IgA-Antikörper (ELISA) und die Biopsie der duodenalen Mukosa im Rahmen einer Gastroskopie. Eine strikte glutenfreie Diät unter fachkundiger Beratung durch Ökotrophologen und mit Unterstützung durch die Deutsche Zöliakiegesellschaft (www.dzg-online.de) führt in der Regel rasch zur Besserung der Symptomatik.


Literatur
1. Schumann, M, Daum, S et al., "Zöliakie: Epidemiologie, Pathogenese, Differenzialdiagnostik und Therapie. Gastroenterologe 2009;4:19
2. Rampertab SD et al., Trends in the presentation of celiac disease. American Journal of Medicine 2006
3. Mustalahti K et al.. The prevalence of celiac disease in Europe: results of a centralized, international mass screening project. Ann Med. 2010;42(8):587
4. Henker et al., Prevalence of asymptommatic coeliac disease in children and adults in the Dresden region of Germany. Dtsch Med Wochenschr. 2002;127(28-29):1511.
5. Corrao, G, Corazza, G R et al., Mortality in patients with coeliac disease and their relatives: a cohort study. Lancet 2001;358:356
6. Rubio-Tapia et al., Increased prevalence and mortality in undiagnosed celiac disease. Gastroenterology 2009;137(1):88
7. Godfrey JD et al., Morbidity and mortality among older individuals with undiagnosed celiac disease. Gastroenterology. 2010;139(3):763

Interessenkonflikte:
keine deklariert

Dr. med. Michael Schumann


Kontakt:
Dr. med. Michael Schumann
Medizinische Klinik für Gastroenterologie, Rheumatologie und Infektiologie
Charité Campus Benjamin Franklin
12200 Berlin

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2011; 33 (17) Seite 21-23