Akuter Kreuzschmerz ist eine häufige und oftmals ungefährliche Krankheitsepisode mit spontaner Besserungstendenz. Die seltenen, potenziell gefährlichen Ursachen mit oft raschem Handlungsbedarf wie z. B. Frakturen oder Bandscheibenvorfälle mit neurologischen Ausfällen sollen primär erkannt werden anhand von Warnsignalen, den sogenannten „Red Flags“. Eine initiale Bildgebung ist beim akuten Kreuzschmerz ohne Hinweise auf „Red Flags“ nicht erforderlich. Bei bis zu 22 % der Patienten chronifiziert der Kreuzschmerz. Die Risikofaktoren für eine Chronifizierung sind ebenso zu beachten und werden als „Yellow Flags“ bezeichnet.

Kreuzschmerz ist ein wesentliches gesundheitliches Problem in allen industrialisierten Ländern weltweit. Die international berichteten Lebenszeitprävalenzen liegen zwischen 49 und 70 % [1]. Im Bundes-Gesundheitssurvey von 1998 betrug die Punktprävalenz 39 % bei Frauen und 31 % bei Männern mit einem Maximum in der Altersklasse der 50- bis 59-Jährigen (Frauen 44 %, Männer 39 %). Etwa 22 % der Frauen und 15 % der Männer berichteten chronischen Kreuzschmerz in einem Survey von 2003 [2 - 4]. In den USA z. B. sind Kreuzschmerzen die fünfthäufigste Ursache für einen Arztbesuch [5]. Die Kosten für Kreuzschmerz sind immens. In Deutschland entstanden im Jahr 2006 ca. 8,4 Milliarden Euro an direkten Kosten [3].

Um dieser Kostenlawine zu begegnen und die Behandlung von Patienten mit Kreuzschmerzen zu optimieren, sind in den letzten Jahren international verschiedene Leitlinien und Empfehlungen publiziert worden [5, 6]. Für den deutschsprachigen Raum ist kürzlich die Nationale Versorgungsleitlinie zum nichtspezifischen Kreuzschmerz [4] publiziert worden, die in einer Kurz- und einer Langversion unter www.versorgungsleitlinien.de/themen verfügbar ist.

Akuter nichtspezifischer Kreuzschmerz

Eine Kreuzschmerzepisode, die nicht länger als 6 Wochen anhält, wird als akuter Kreuzschmerz bezeichnet. Von subakutem Kreuzschmerz wird bei einer Dauer von 6 bis 12 Wochen und von chronischem Kreuzschmerz bei einer Dauer von über 12 Wochen gesprochen. Diese zeitliche Einteilung macht durchaus Sinn, denn der akut aufgetretene Kreuzschmerz verschwindet bei ca. 90 % aller Patienten innerhalb der ersten sechs Wochen praktisch vollständig. Nur etwa 2 bis 22 % entwickeln einen anhaltenden chronischen Schmerz [3, 4]. Der Anteil von Patienten mit erneuten Kreuzschmerzepisoden nach beschwerdefreien oder -armen Intervallen liegt mit 60 % aber relativ hoch und 33 % der Patienten werden im Verlauf erneut arbeitsunfähig [4].

Nach einer Untersuchung aus den USA aus dem Jahr 1992 finden sich bei ca. 15 % spezifische Ursachen für den Kreuzschmerz [7]. Alle anderen Arten von Kreuzschmerzen (also ca. 85 %) werden als „nichtspezifisch“ klassifiziert. Zu den spezifischen Ursachen zählen u. a. Kompressionsfrakturen, Bandscheibenvorfälle, Spinalkanalstenosen, Neoplasien und ankylosierende Spondylitis.

Bildgebung und Kausalität

Der Terminus „nichtspezifischer akuter Kreuzschmerz“ ist als Arbeitsbegriff zu verstehen. Mittels moderner Bildgebung, sprich MRT, lassen sich zwar bei der großen Mehrzahl der Erwachsenen mittleren und höheren Alters degenerative Veränderungen an den Bandscheiben, den Wirbelkörpern oder den kleinen Wirbelgelenken feststellen. Jedoch verursachen diese Veränderungen nicht automatisch Beschwerden. Aufgrund dieser schlechten Korrelation zwischen Bildgebung und klinischer Symptomatik fällt die kausale Zuordnung von klinischen Symptomen zu Bildgebungsbefunden nicht leicht.

Aufgrund der guten Prognose in den meisten Fällen fallen unter den Begriff „nichtspezifischer akuter Kreuzschmerz“ daher all diejenigen Befunde, bei denen keine der oben genannten, relevanten und schwerwiegenden Organpathologien vorliegen, wohl wissend, dass geringe bis mäßige degenerative Veränderungen an den Bandscheiben oder Wirbeln vorliegen können, die möglicherweise tatsächlich eine kausale Bedeutung haben oder aber lediglich ein reines Epiphänomen darstellen.

Wie erkennt man ernste Pathologien?

Bei akut aufgetretenem Kreuzschmerz sollen ernsthafte Erkrankungen mit oft raschem Handlungsbedarf anhand von Begleitsymptomen oder Vorerkrankungen, die als Warnsignale („Red Flags“) zu verstehen sind, durch Anamnese und Untersuchungsbefund erkannt werden (Details in Tabellen 1 und 2). Nächtliche Schmerzverstärkung z. B. findet sich bei Tumor oder Infektionen der Wirbelsäule. Auch Fieber oder ein schlechter Allgemeinzustand können Hinweise auf einen Tumor oder eine Infektion sein. Höheres Alter an sich ist neben einer Steroidtherapie ein möglicher Hinweis auf eine osteoporotische Fraktur, an die beim älteren Menschen mit akut aufgetretenem Kreuzschmerz und allenfalls einem Bagatelltrauma gedacht werden sollte. Neurologische Ausfälle (z. B. Taubheit, Lähmung, Urinverhalt, Mastdarmstörung) sind neben akuten Schmerzen ein Hinweis auf eine möglicherweise gravierende Kompression von Nerven.

Insbesondere bei jüngeren Patienten (Beginn vor dem 45. Lebensjahr) ist als spezifische Ursache von Rückenschmerzen auch an eine primär entzündliche Wirbelsäulenerkrankung wie Morbus Bechterew oder frühe axiale Spondyloarthritis zu denken (vgl. Tabelle 3).

Ergibt sich anamnestisch und klinisch kein Hinweis auf eine der in Tabelle 1 gelisteten Pathologien, sollte zunächst aufgrund der zu erwartenden guten Prognose eine abwartende Haltung eingenommen werden und nur bei fehlender Besserung im Verlauf oder gar Verschlechterung der Symptomatik eine erneute klinische Evaluation und dann auch weiterführende Diagnostik erfolgen.

Wie viel Bildgebung ist nötig?

Bildgebende Verfahren tragen erheblich zu den für Kreuzschmerz aufgewendeten Kosten bei. Darunter fallen die Kosten für die Durchführung der Bildgebung an sich, aber auch Kosten für sich anschließende weitergehende diagnostische oder therapeutische Maßnahmen [8]. In einer großen Metaanalyse von sechs randomisierten Studien mit mehr als 1 800 Patienten waren Schmerz und Funktionszustand bei Patienten mit und ohne stattgehabte bildgebende Diagnostik (Rö, MRT oder CT) kurzfristig (sechs Wochen) wie auch langfristig (6 - 12 Monate) gleich ausgeprägt [9]. Daraus ergibt sich, dass eine sofortige Bildgebung beim akuten nichtspezifischen Kreuzschmerz das Outcome nicht verbessert, neben Kosten mit unnötiger Strahlenexposition (Rö/CT) einhergeht und möglicherweise in unnötigen therapeutischen Maßnahmen resultiert.

Der Verzicht auf eine initiale Bildgebung beim akuten Kreuzschmerz wird nicht immer positiv aufgenommen werden. So kann daraus Unsicherheit des weniger gut informierten Arztes resultieren mit der Angst, wesentliche Pathologien verpassen zu können. Auch wurde die Patientenseite bislang wenig untersucht. In einer ebenfalls randomisierten (Röntgen im Vergleich zu rein symptomatischer Therapie) Untersuchung an 421 Patienten mit bereits chronischem nichtspezifischem Kreuzschmerz (mediane Schmerzdauer zehn Wochen), in der sich wie auch in den anderen Studien nach drei und neun Monaten kein signifikanter Unterschied bezüglich Schmerz, Funktion und Gesundheitszustand fand, war die Patientenzufriedenheit nach neun Monaten in der Röntgen-Gruppe größer, und 80 % der Patienten gaben an, sich röntgen lassen zu wollen, wenn sie die Wahl hätten [10].

Wann sind Laboruntersuchungen sinnvoll?

Liegen keine Warnhinweise (Red Flags) auf eine ernste Pathologie vor, ist beim akuten nichtspezifischen Kreuzschmerz eine Laboruntersuchung generell nicht sinnvoll. Ergibt sich aufgrund der Anamnese und Untersuchung der Verdacht auf eine spezifische Ursache, sollten natürlich die erforderlichen Laboruntersuchungen bzw. eine Überweisung zum Spezialisten bzw. in die Klinik veranlasst werden.

Wenn der nichtspezifische Kreuzschmerz chronifiziert

Der akute nichtspezifische Kreuzschmerz ist nicht als rein mechanische Irritation von Bandscheiben, Bändern und Nerven zu verstehen, sondern sollte vielmehr als ein biopsychosoziales Krankheitsmodell betrachtet werden, bei dem neben mechanischen Ereignissen soziale Kontextfaktoren, wie z. B. Zufriedenheit am Arbeitsplatz, Konflikte im privaten Umfeld und auch Persönlichkeitsmerkmale wie der Umgang mit Krankheiten, Problemlösekompetenz etc., eine wesentliche Rolle spielen [4].

Etwa 2 bis 22 % aller Patienten haben einen chronifizierten Kreuzschmerz mit erheblicher Beeinträchtigung/schlechtem Outcome [3, 4, 11]. Warnhinweise auf eine mögliche Chronifizierung von akuten nichtspezifischen Kreuzschmerzen sollten möglichst frühzeitig erfasst werden und sollten fester Bestandteil der Routinediagnostik des akuten Kreuzschmerzes selbst im frühen Krankheitsstadium sein. Diese Warnhinweise für Chronifizierung werden als „Yellow Flags“ bezeichnet und sind mit den entsprechenden Evidenzgraden in Tabelle 4 gelistet.

Therapie des nichtspezifischen akuten Kreuzschmerzes

Die wichtigsten Eckpfeiler der Therapie des akuten nichtspezifischen Kreuzschmerzes sind

  1. die Aufklärung und Edukation des Patienten über die generell gute Prognose des Schmerzereignisses und die fehlende Notwendigkeit weiterer Diagnostik,
  2. die Ermunterung zur allgemeinen Aktivierung und Beibehaltung der normalen körperlichen Aktivität und
  3. eine bedarfsorientierte analgetische Therapie mit Paracetamol oder nicht­steroidalen Antirheumatika.

Bezüglich weiterer Therapieempfehlungen erlauben wir uns auf die Nationale Versorgungsleitlinie zu verweisen [4].


Literatur
1. Koes BW, van Tulder MW, Thomas S (2006) Diagnosis and treatment of low back pain. BMJ 332:1430-1434
2. Raspe H. Back pain. In: Silman AJ, Hochberg MC, editors. Epidemiology of the rheumatic diseases. 2nd ed. Oxford: Oxford Univ. Pr.; 2001. p. 309-38
3. Robert Koch Institut (RKI). Gesundheit in Deutschland. Berlin: RKI; 2006. Available from: www.gbebund.de
4. Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz – Langfassung. Version 1.0. 2010 [cited: 30.11.2010]. Available from: www.versorgungsleitlinien.de
5. Chou R, Qaseem A, Snow V, Casey D, Cross JT Jr, Shekelle P, Owens DK; Clinical Efficacy Assessment Subcommittee of the American College of Physicians; American College of Physicians; American Pain Society Low Back Pain Guidelines Panel. (2007) Diagnosis and treatment of low back pain: a joint clinical practice guideline from the American College of Physicians and the American Pain Society. Ann Intern Med. 147(7):478-91.
6. van Tulder M, Becker A, Bekkering T, Breen A, del Real MT, Hutchinson A, Koes B, Laerum E, Malmivaara A; COST B13 Working Group on Guidelines for the Management of Acute Low Back Pain in Primary Care (2006) Chapter 3. European guidelines for the management of acute nonspecific low back pain in primary care. Eur Spine J. 15 Suppl 2:S169-91.
7. Deyo RA, Rainville J, Kent dl (1992) What can the history and physical examination tell us about low back pain? JAMA 268(6):760-5.
8. Chou R, Qaseem A, Owens DK, Shekelle P; Clinical Guidelines Committee of the American College of Physicians (2011) Diagnostic imaging for low back pain: advice for high-value health care from the American College of Physicians. Ann Intern Med. 154(3):181-9.
9. Chou R, Fu R, Carrino JA, Deyo RA.(2009) Imaging strategies for low-back pain: systematic review and meta-analysis. Lancet 373(9662):463-72.
10. Kendrick D, Fielding K, Bentley E, Kerslake R, Miller P, Pringle M (2001) Radiography of the lumbar spine in primary care patients with low back pain: randomised controlled trial. BMJ 322(7283):400-5.
11. Chou R, Shekelle P (2010) Will this patient develop persistent disabling low back pain? JAMA 303(13):1295-302.

Interessenkonflikte:
M. Rudwaleit war als Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) und E. Märker-Hermann als Vertreterin der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) an der Erstellung der Nationalen Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz beteiligt. Weitere Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel bestehen nicht.

Prof. Dr. med. Martin Rudwaleit


Kontakt:
Prof. Dr. med. Martin Rudwaleit
Rheumaklinik
Ev. Krankenhaus Hagen-Haspe
58135 Hagen

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2011; 33 (13) Seite 38-42