Eine Muskelverletzung kann je nach Verletzungsausmaß den Sportler für mehrere Monate vom Sport ausschließen. Die Behandlung muss phasengerecht erfolgen. Zudem richtet sie sich nach dem Grad der Verletzung. Die meisten Muskelverletzungen können konservativ behandelt werden. Doch auch operative Verfahren kommen, z. B. bei kompletter Muskelruptur, zum Einsatz.

Muskelverletzungen können in akute und chronische Verletzungen sowie nach der Lokalisation (z. B. Muskelbauch, Muskel-Sehnen-Übergang, Sehne und Sehnenansatz) unterteilt werden. Die meisten Autoren klassifizieren Muskelverletzungen in drei bis vier Grade:

  • Grad 1: Riss einzelner Muskelfasern mit intakter Faszie (< 5 % der Muskelfasern).
  • Grad 2: Riss etlicher Muskelfasern mit intakter Faszie und lokalisiertem Hämatom (> 5 % der Muskelfasern).
  • Grad 3: Riss zahlreicher Muskelfasern mit Teilruptur der Faszie und diffuser Einblutung (> 5 % der Muskelfasern).
  • Grad 4: Kompletter Muskel- und Faszienriss mit Funktionsverlust.

Verletzungsursachen

Die meisten Muskelverletzungen sind auf eine plötzliche, heftige, über die Toleranzgrenzen hinausgehende Muskeldehnung sowie auf direkte Anpralltraumen (Kontusion) zurückzuführen.

Nicht-belastungsadaptierte Muskulatur (ungenügendes Aufwärmen mit zu geringem Gefäßdurchfluss, schlechter Trainingszustand, ermüdete oder unterkühlte Muskulatur) erhöhen die Verletzungsempfindlichkeit. Auch nicht ausgeheilte Verletzungen, Infektionskrankheiten, nicht ausreichend ausgeglichene Flüssigkeitsverluste mit Elektrolytstörungen, muskuläre Dysbalancen und ungeeignete Sportausrüstung erhöhen das Risiko, eine Muskelverletzung zu erleiden.

Oberflächliche Muskeln, die über zwei Gelenke verlaufen und häufig antagonistische Funktionen ausüben (z. B. Musculus rectus femoris, Musculus semitendinosus und Musculus gastrocnemius) sind für Muskelverletzungen prädestiniert. Direkte Muskelverletzungen entstehen beim Kontakt mit dem Gegenspieler oder beim Aufprall gegen ein hartes Hindernis. Bei zurückliegenden Muskelverletzungen stellt die Narben-Muskel-Grenze die Prädilektionsstelle für eine erneute Verletzung dar.

Muskelheilung

Nach einer Muskelverletzung verläuft der Heilungsprozess als Repair-Prozess in drei Phasen ab:

1. Destruktions- und Entzündungsphase

Nach der Verletzung sterben zunächst Muskelfaseranteile ab und es kommt zu einer Entzündungs-Zellreaktion, zudem bildet sich ein Hämatom zwischen den rupturierten Muskelfaseranteilen. Der Heilungsprozess wird durch das Hämatom verlangsamt. Das Ziel in dieser Phase besteht daher zunächst darin, eine übermäßige Hämatombildung zu vermeiden bzw. das Hämatom rasch zu entfernen.

2. Reparationsphase

Im Anschluss an die Phagozytose der zerstörten Zelltrümmer durch Makrophagen regenerieren sich die Muskelfasern. Kapillaren sprossen in das verletzte Gebiet ein, daher ist für den Heilungsprozess eine optimale Sauerstoffversorgung des Muskels wichtig. Die Faserregeneration erreicht ihren Gipfel nach etwa zwei Wochen, die sich bildende Bindegewebenarbe intensiviert sich bis etwa vier Wochen nach der Verletzung.

3. Remodelling/Wiederherstellungsphase

Diese Phase verläuft überlappend zur Reparationsphase. Die funktionelle Kapazität der Muskulatur wird wiederhergestellt, u. a. durch Reinnervation.

Diagnostik

Wichtige Hinweise gibt uns bereits die Anamnese über den Verletzungsmechanismus. Bei der körperlichen Untersuchung liefern Inspektion, Palpation und Funktionsanalyse dem erfahrenen Kollegen in aller Regel eindeutige Ergebnisse.

Beim Verletzungsgrad 1, manchmal auch bei Grad 2 und 3, können beim entspannten Muskel zunächst Beschwerdezeichen fehlen. Bei Muskelverletzungen Grad 2 und 3 sind gelegentlich Kontinuitätsunterbrechungen des Muskels bereits tastbar. Bei Grad-4-Verletzungen ist die Deformation des verletzten Muskels mit dem entsprechenden Funktionsverlust sicher nachweisbar.

Die Sonographie gilt aufgrund ökonomischer Aspekte sowie wegen fehlender Strahlenexposition, leichter Verfügbarkeit und guter Aussagekraft als Screening-Methode. Muskelrisse sowie Hämatome sind an der Echotextur eindeutig zu identifizieren (Abb. 1). Mit der Sonographie ist auch eine dynamische Beurteilung der Muskeln und Sehnen möglich. Unter Sonographiekontrolle kann ein entstandenes Hämatom abpunktiert oder auch ggf. eine Injektion in die Verletzungsstelle vorgenommen werden. Die Ergebnisse sind jedoch stark untersucherabhängig und nicht uneingeschränkt reproduzierbar.

Mit der Magnetresonanztomographie können insbesondere schwer zugängliche Muskelverletzungen ausgezeichnet dargestellt werden (Abb. 2).

Im Röntgenbild zeigen sich knöcherne Absprengungen, Verkalkungen (Myositis ossificans) und mit einer Weichteilaufnahme Konturen der Weichteilschatten.

Erstbehandlung

Der Blutdurchfluss in den Muskeln (Ruhezustand 0,8 l/min) kann bei sportlicher Betätigung 18 l/min betragen. Bei Muskelverletzungen während des Sports muss daher mit einer umfangreichen Blutung an der Verletzungsstelle gerechnet werden. Der Hauptzweck der Erstbehandlung ist das Eindämmen der Blutung. Der Sportler wird sofort aus dem Sportbetrieb herausgenommen und es wird ein Druckverband mit elastischer Binde angelegt. Die Extremität wird mit Unterarmgehstöcken entlastet bzw. hochgelagert. Anfangs muss regelmäßig gekühlt werden (in jeder Stunde 20 Minuten). Medikamente zur Muskelentspannung können verabreicht werden. Kurzzeitiger Einsatz von NSAR innerhalb der ersten fünf bis sieben Tage nach der Verletzung zeigt positive Ergebnisse. Wenn es zu einer starken Druckzunahme in den Weichgeweben kommt, kann in seltenen Fällen eine chirurgische Intervention (Hämatomentfernung und Stillung der Blutung) erforderlich werden.

Nach 24 Stunden lässt sich die Hämatomausdehnung sicher beurteilen. Zur Verringerung des Hämatoms kann eine Punktion unter Sonographiekontrolle erforderlich werden. Sollte das Hämatom bereits in einen festen Zustand übergegangen sein, kann die Hämatomentfernung über einen kleinen Schnitt oder arthroskopisch erfolgen.

Konservative Behandlung

Grad-1- und ein Teil der Grad-2- und 3-Verletzungen können konservativ behandelt werden. Nach Hämatomentfernung und Abschluss der Akutphase-Behandlung wird für zwei bis drei Wochen ein elastischer Druckverband angelegt. In den ersten zwei Tagen sollte der Patient den betroffenen Muskel schonen, frühestens ab dem sechsten Tag kann eine Übungsbehandlung beginnen. Für den Trainingsaufbau hat sich folgendes Vorgehen bewährt:

  • Während der ersten Tage sollte das Training auf statische, belastungsfreie Übungen beschränkt bleiben.
  • Mit den dynamischen Übungen wird nach ca. einer Woche begonnen. Der Umfang und die Intensität werden durch den Schmerz bestimmt.
  • Nach Ablauf von etwa zwei Wochen kann mit Dehnungsübungen und mit sensomotorischem Training begonnen werden.
  • Frühestens drei Wochen nach der Verletzung wird das Training mit Sportelementen begonnen.

Operative Behandlung

Die überwiegende Anzahl der Muskelverletzungen kann nach den oben beschriebenen Richtlinien konservativ behandelt werden.

Das chirurgische Vorgehen ist jedoch bei kompletter Muskelruptur indiziert sowie bei Grad-2 und -3-Verletzungen von Muskeln, die über keine agonistischen Muskeln verfügen oder bei denen andere Muskeln nicht in der Lage sind, die Arbeit des verletzten Muskels zu kompensieren (Abb. 3 und 4). Bei Muskelabrissen von Knochenvorsprüngen oder am Knochensehnenansatz ist die Indikation zur chirurgischen Refixation insbesondere im Leistungssport großzügig zu stellen. Insbesondere sollte eine angemessene chirurgische Versorgung derjenigen Muskeln erfolgen, die bei der Beckenstabilisierung während des Stehens auf einem Bein mitwirken. Dies betrifft vor allem die Adduktoren.

Nach dem chirurgischen Eingriff sollte die Extremität etwa sieben Tage lang immobilisiert und entlastet werden. Die anschließende Rehabilitation richtet sich nach dem Ausmaß der Verletzung und dem Ort der Eingriffsstelle.

Rückkehr zum Training

Das sportartspezifische Training beginnt in der Regel erst ab der fünften Woche nach einer gravierenden Muskelverletzung. Bei der Entscheidung zur Wiederaufnahme des Trainings haben sich folgende Faktoren bewährt:

  • Schmerzfreie Belastung des Muskels bei normalen Bewegungen
  • Identische Dehnfähigkeit des verletzten Muskels im Vergleich zur kontra-lateralen Seite. Der Aufbau des Trainings erfolgt dann stufenweise.

Kompartment-Syndrom

Das akute Muskelkompartment-Syndrom ist meist Folge eines direkten Traumas. Das Trauma führt an der unteren Extremität zu einem Weichteilschaden, in dessen Folge es am häufigsten zum vorderen, seitlichen und hinteren Kompartment-Syndrom im Bereich des Unterschenkels kommt. Die klinischen Symptome bestehen aus Schmerzen, Schmerzverstärkung unter passiver Dehnung sowie sensiblen und motorisch-neurologischen Symptomen.

Der erhöhte intrakompartimentelle Druck führt zur Minderoxygenierung der Muskulatur (Ischämie) und schließlich bei Nichtbeachtung und inadäquater Behandlung zur Muskelnekrose. Bei akuten Muskelkompartment-Syndromen ist deshalb die rasche Fasziotomie angezeigt.

Prävention

Die wichtigsten Vorbeugemaßnahmen sind ein korrektes Aufwärmen vor dem Sport und ein Nachbereiten der sportlichen Belastung sowie ein gezieltes, auf den Sportler individuell abgestimmtes Muskeltraining. Auf die erhöhte Gefahr von Muskelverletzungen durch Fehlernährung und Flüssigkeitsverluste sowie bei Training unter Infektionskrankheiten und bei fokalen Herderkrankungen (Zähne, Tonsillen) sollte der Sportler hingewiesen werden.


Interessenkonflikte:
keine deklariert

PD Dr. med. Martin Engelhardt


Kontakt:
PD Dr. med. Martin Engelhardt
Klinik für Orthopädie, Unfall- und Handchirurgie
Klinikum Osnabrück GmbH
49076 Osnabrück

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2011; 33 (11) Seite 17-20