Heilpflanzenpräparate gegen Schlafstörungen sind sehr gut verträglich und bergen keine Abhängigkeitsgefahr [1, 5]. Die Nachfrage nach pflanzlichen Alternativen ist dementsprechend in den letzten Jahren stark gestiegen. Allerdings sind Phytotherapeutika nicht schlaferzwingend und wirken nicht sofort. Das muss der Patient wissen.

Schlaffördernde pflanzliche Arzneimittel genießen aufgrund ihres günstigen Nebenwirkungsprofils und ihrer ausgezeichneten Langzeitverträglichkeit eine hohe Compliance beim Arzt und bei Patienten [1, 5, 7]. Berichte über Toleranzentwicklung oder die Entwicklung einer Abhängigkeit sind im Gegensatz zur synthetischen Konkurrenz bis jetzt keine bekannt [1]. Hang-over oder kognitive Beeinträchtigungen, wie sie bei vielen synthetischen Präparaten schon unter Normaldosierung auftreten können, sind in der Literatur bei pflanzlichen Arzneimitteln ebenfalls nicht beschrieben [1, 5, 16].

Die Nachfrage nach pflanzlichen Alternativen ist aus den genannten Gründen in den letzten Jahren stark gestiegen und mit ihr auch die an die Phytopharmaindustrie gestellten Anforderungen an neu regis­trierte Produkte und deren zu erbringende Studien, woraus Produkte mit einer hohen Qualität und Wirksamkeit sowie gutem Sicherheitsprofil resultierten [2, 5]. Es erstaunt deshalb nicht, dass die rationalen, evidenzbasierten pflanzlichen Arzneimittel eine stolze Zuwachsrate - kumuliert über die letzten zwölf Monate - von bis zu 20 % vorweisen können. Der Marktanteil aller Phytopräparate (inkl. Tee und Tinkturen) am Gesamtmarkt der Hypnotika und Sedativa beträgt beachtliche 30 % und wächst mit 1,2 % pro Jahr rund dreimal stärker als der Gesamtmarkt, der lediglich ein Wachstum von 0,4 % aufweist [3].

Therapeutische Bedeutung pflanzlicher Arzneimittel

Pflanzliche Arzneimittel haben sich nicht nur in der Therapie von nervös bedingten Einschlafstörungen und unruhigem Schlaf bewährt, sondern mit der Entwicklung moderner Baldrian-Hopfen-Kombipräparate auch in der Therapie von sich manifestierenden Durchschlafstörungen (Übersicht 1) [4 - 6]. Unter Ausschluss von exogenen, organischen, psychiatrischen und psychosozialen Ursachen eignen sich pflanzliche Arzneimittel vor allem bei [4, 7, 17]:

  • Patienten mit psychoreaktiven Störungen
  • Patienten mit leichteren Schlafstörungen
  • älteren sowie multimorbiden und/oder polymedizierten Patienten
  • Patienten mit Schlaflosigkeit, die durch andere Arzneimittel induziert werden (z. B. Kortikoid- oder Theophyllinmedikation bei Asthmatikern)
  • einem Benzodiazepinentzug-Versuch: Laut einer Studie konnten 55 % vollständig auf ein Hopfen-Baldrian-Kombipräparat umgestellt werden, und bei 18 % gelang ein Teilentzug
  • der Langzeittherapie, das heißt bei Patienten, deren Schlafstörungen über einen längeren Zeitraum (≥ 2 - 4 Wochen) behandelt werden müssen


Wirkungseintritt und Dosierung

In der Indikation Schlafstörungen können bei pflanzlichen Arzneimitteln im Gegensatz zu den synthetischen Schlafmitteln keine Sofortwirkungen innerhalb weniger Minuten erzielt werden. Es ist deshalb wichtig, dass der Patient weiß, dass unter der Behandlung mit einem pflanzlichen Heilmittel eine Verbesserung der Symptomatik frühestens nach zwei Wochen erwartet werden kann [4]. Der Erfolg hängt weiter von einer ausreichenden Dosierung ab. Laut klinischen Studien ist eine Tagesdosierung zum Beispiel bei ethanolisch- respektive methanolisch-wässrigen Baldrianwurzel-Trockenextrakten von 500 bis 1 000 mg notwendig, wobei zu beachten ist, dass das Medikament eine halbe bis eine Stunde vor dem Schlafengehen eingenommen wird [1, 5].

Interaktionen

Über Interaktionen mit Phytopharmaka ist im Gegensatz zur synthetischen Konkurrenz (Übersicht 2) nur wenig bekannt [1, 5]. Gut untersucht ist in diesem Zusammenhang das im Johanniskraut vorkommende Hyperforin. Dieses ist verantwortlich für die Interaktionen mit Medikamenten, welche über das Isoenzym CYP3A4 des Zytochrom-P-450-Systems in der Leber metabolisiert werden [10, 11]. Über den Induktionseffekt von Hyperforin kommt es zu einem deutlichen Wirkstoffabfall im Plasmaspiegel und zu einer verminderten Wirkung des eingenommenen Medikaments. Von Relevanz ist, dass die Induktion dosisabhängig ist vom Hyperforingehalt. Beruhend auf dieser Tatsache sollte deshalb ein Johanniskrautextrakt gewählt werden, das einen möglichst tiefen Hyperforingehalt aufweist.

Wirkmechanismen

Pflanzliche Schlafmedikamente erhöhen die Schlafbereitschaft, senken die Einschlaflatenz sowie die nächtlichen Wachphasen und stellen die physiologische Schlafarchitektur mit den für den erholsamen Schlaf essenziell wichtigen REM- und Tiefschlafphasen wieder her [6, 15]. Im Gegensatz dazu werden die REM-Phasen bei vielen synthetischen Schlafmitteln unterdrückt und die Tiefschlafphasen nehmen ab. Die Unterdrückung der REM-Phasen gipfelt im Phänomen des „REM-Rebounds“, der sich in Schlafstörungen nach dem Absetzen äußert. Der REM-Rebound scheint maßgeblich daran Schuld zu tragen, dass es zur Manifestation einer Abhängigkeit kommt [16]. Hang-over sind ebenfalls bei den synthetischen Schlafmitteln bestens bekannt, nicht aber bei den pflanzlichen Vertretern, da diese keinerlei narkotische Effekte haben [5, 16].

Hopfen-Baldrian-Kombipräparate

Besonders bewährt haben sich Bal­drian-Hopfen-Kombipräparate in der Behandlung von chronischen Ein- und Durchschlafstörungen sowie unruhigem Schlaf [17]. Laut wissenschaftlichen Erkenntnissen ergänzt sich die Wirkung von Baldrian und Hopfen geradezu ideal [6]. Drehscheibe des Schlaf-Wach-Rhythmus bilden die beiden körpereigenen Hormone Adenosin und Melatonin. Wird die Bildung eines dieser Hormone beeinträchtigt, zum Beispiel bei Depression, Alter, Jetlag, Schichtarbeit usw., können sich Schlafstörungen manifestieren [4, 18, 19].

Adenosintriphosphat (ATP) ist der zelluläre Energiespeicher. Durch Abspaltung von Adenosin wird die in ATP gespeicherte Energie frei. Freies Adenosin bindet an die Adenosin-A1-Rezeptoren, welche die Funktion eines „Müde-Schalters“ übernehmen [20]. Mit steigender Konzentration von Adenosin im Gehirn gewinnt der Schlafdruck an Intensität. Bei Erreichen eines Adenosin-Schwellenwerts wird die Wachheit im frontobasalen Kortexbereich so stark inhibiert, dass es zur Auslösung des Schlafs kommt. Während der Dauer des Schlafs wird Adenosin wieder zu ATP aufgebaut und der Körper mit sinkendem Adenosinspiegel regeneriert [20]. Anhand von Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass Baldrian als „natürlicher Adenosin-Rezeptor-Agonist“ fungiert und die eben beschriebene homöostatische Steuerung bei vorliegenden Schlafstörungen günstig beeinflusst [8].

Der zirkadiane Schlaf-Wach-Rhythmus wird über das körpereigene Hormon Melatonin gesteuert [5]. In Studien konnte belegt werden, dass Hopfen als Melatonin-Rezeptor-Agonist (ML1 und ML2) fungiert und als „natürliches Melatonin“ die Steuerung des Schlaf-Wach-Rhythmus positiv koordiniert [11].


Dr. Corinne Invernizzi, Medizinjournalistin



Genehmigter und bearbeiteter Nachdruck aus Schweizer Zeitschrift für Psychiatrie & Neurologie, 2/2011


Literatur
1. ESCOP Monographs, Second Edition 2003 und 2009.
2. Ph. Helv.: Swissmedic. Anforderungen an die Erarbeitung von Monographien über pflanzliche Stoffe und Zubereitungen. 2010; 01.
3. IMS Health. Pharma Panel, 2010.
4. Schilter H et al.: Leitfaden Phytotherapie. Psychische und psychosomatische Erkrankungen 11: 822–23.
5. Arzneimittelkompendium der Schweiz.
6. Koetter U. et al.: A randomized, double blind, placebo-controlled, prospective clinical study to demonstrate clinical efficacy of a fixed valerian hops extract combination (Ze 91019) in patients suffering from non-organic sleep disorder. Phytother Res 2007; 21(9): 847–51.
7. Pallenbach E.: Ambulanter Entzug bei benzodiazepinabhängigen Patienten in Zusammenarbeit von Apotheker und Hausarzt. Suchttherapie 2006; 7: 1–10.
8. Schellenberg R. et al.: The fixed combination of valerian and hops (Ze91019) acts via a central adenosine mechanism. Planta Med 2004; 70(7): 594–97.
9. Abourashed EA.: In vitro binding experiments with a Valerian, hops and their fixed combination extract (Ze91019) to selected central nervous system receptors. Phytomedicine 2004; 11(7–8): 633–38.
10. Drewe J.: Johanniskraut: Neubewertung der klinischen Sicherheit von Johanniskraut-Präparaten. Phytotherapie 2007; 2: 12–14.
11. Moore LB. et al.: St. John’s wort induces hepatic drug metabolism through activation of the pregnane X receptor. Proc Natl Acad Sci USA 2000; 20; 97(13): 7500–02.
12. Brattström A. et al.: Der Johanniskrautextrakt Ze 117 – Wirksamkeit und Sicherheit. Dtsch Apotheker Ztg 2002; 142: 97–10.
13. Mai I. et al.: Hyperforin content determines the magnitude of the St John’s wort-cyclosporine drug interaction. Clin Pharmacol Ther 2004; 76: 330–40.
14. Whitten dl. et al: The effect of St John’s wort extracts on CYP3A: a systemic review of prospective clinical trials. Br J Clin Pharmacol 2006; 62: 512–26.
15. Füssel A. et al.: Effect of a fixed valerian Hop extract combination (Ze 91019) on sleep polygraphy in patients with non-organic insomnia: a pilot study. Eur J Med Res 2000;18; 5(9): 385–90.
16. Soyka M.: Drogen- und Medikamentenabhängigkeit. Stuttgart, Wiss. Verl.-Ges. 1998: 81–86.
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18. Schmid DA. et al.: Changes of Sleep Architecture, Spectral Composition of Sleep EEG, the Nocturnal Secretion of Cortisol, ACTH, GH, Prolactin, Melatonin, Ghrelin, and Leptin, and the DEX-CRH Test in Depressed Patients during Treatment with Mirtazapine. Neuropsychopharmacology 2006; 31(4): 832–44.
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20. Brattström A.: Neue wissenschaftliche Erkenntnis zum Wirkmechanismus von Baldrian. Phytosymposium: Biogenic Drugs and the Central Nervous System. Holland, 2004.
21. Cajochen C. et al.: Role of melatonin in the regulation of human circadian rhythms and sleep. J Neuroendocrinol 2003; 15(4): 432–37.

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2011; 33 (16) Seite 46-48