Eine Stuhlinkontinenz kann vielfältige Ursachen haben. Lässt sich ein Sphinkterdefekt oder eine Sphinkterdegeneration nachweisen, stehen heute neben konservativen Maßnahmen wie Beckenbodentraining, Diät und Antidiarrhoika auch operative Therapieverfahren zur Verfügung. Dazu gehören die Schließmuskelrekonstruktion, die Grazilisplastik und die Sakralnervenstimulation.

Stuhlkontinenz ist definiert durch die Fähigkeit, Darminhalt wahrzunehmen, zurückzuhalten und zu passender Zeit und am passenden Ort zu entleeren. Stuhlkontinenz ist ein wesentlicher Faktor für das persönliche und soziale Wohlbefinden. Man schätzt die Prävalenz der Stuhlinkontinenz zwischen 0,5 und 1 % bei Erwachsenen und bis zu 7 % bei den über 65-Jährigen.

Nach Stelzner definiert sich das Kontinenzorgan aus folgenden anatomischen Strukturen:

  1. die unverhornte, dehnbare, hochsensible Analkanalhaut (Anoderm),
  2. dem M. sphincter ani externus (willkürlicher äußerer Schließmuskel),
  3. dem M. levator mit M. puborectalis (Beckenbodenmuskulatur),
  4. dem M. sphincter ani internus (unwillkürlicher innerer Schließmuskel),
  5. dem Corpus cavernosum recti (Hämorrhoidalzone),
  6. dem Mastdarm (Reservoir).

Da die Stuhlkontinenz ein komplexes Zusammenspiel mehrerer Faktoren ist, führt die Störung einer oder mehrerer der genannten Strukturen zu einem unterschiedlich ausgeprägten Schweregrad einer Stuhlinkontinenz. Die ursächlichen Faktoren einer Stuhlinkontinenz müssen möglichst exakt abgeklärt werden, um eine kausale und zielgerichtete Therapiestrategie zu entwickeln (vgl. auch Tabelle 1).

Diagnostik der Stuhlinkontinenz

Die Diagnostik der Stuhlinkontinenz beginnt mit der Anamnese, bei der folgende Daten erhoben werden sollten: Symptombeginn, Häufigkeit, Konsistenz, spezielle Umstände oder Essgewohnheiten sowie vorausgegangene Operationen. Bei Frauen ist gezielt nach Entbindungen und Besonderheiten wie Dammriss oder Dammschnitt zu fragen, Systemerkrankungen müssen dokumentiert werden.

Die klinisch-proktologische Untersuchung besteht aus Inspektion und digital-rektaler Untersuchung. Die apparative Diagnostik beginnt mit der Rektoskopie und Proktoskopie als Standarddiagnostik. Als weiterführende Diagnostik gilt die anorektale Manometrie zur Schließmuskeldruckmessung, die Endosonographie zur Darstellung der Sphinktermorphologie (Abb. 1) und ggf. die Defäkographie beim Descensus oder bei der Rektozele.

Endosonographie des Analsphinkters

Die Endosonographie des Analsphinkters ist ein sehr wertvolles Diagnostikum in der Abklärung der Stuhlinkontinenz. In der anorektalen Diagnostik und Therapieplanung ist die Endosonographie eine der bedeutendsten Innovationen der vergangenen Jahre.

Therapie der Stuhlinkontinenz

Eine Reihe konservativer und operativer Therapien stehen zur Verfügung, häufig erscheinen kombinierte Maßnahmen effektiv, nicht selten ist ein abgestuftes Therapiekonzept sinnvoll.

Konservative Therapiemaßnahmen

Zu den erprobten und empfehlenswerten Therapiemaßnahmen einer Stuhlinkontinenz zählt das Beckenboden- und Schließmuskeltraining unter physiotherapeutischer Anleitung, ggf. kombiniert mit einem Biofeedback-Gerät. Eine Diätberatung ist sinnvoll, stuhleindickende oder gelierende Medikamente sollten bedarfsweise verordnet werden (z. B. Lopedium®, Imodium®, Flohsamenpräparate).

Operative Therapiemaßnahmen

Ist in der Endosonographie ein Sphinkterdefekt nachgewiesen und lokalisiert worden, ist eine Schließmuskelrekonstruktion anzustreben. Die freipräparierten Schließmuskelenden werden dabei überlappend oder Stoß auf Stoß zweireihig mit einem verzögert resorbierbaren Faden genäht (Abb. 2).

Mit diesem Eingriff lassen sich Kontinenzverbesserungsraten von 70 bis 90 % erreichen. Unserer Ansicht nach gehört ein prä- und postoperatives Sphinktertraining unter physiotherapeutischer Anleitung zum Behandlungskonzept einer Schließmuskelrekonstruktion.

Bei einem Substanzverlust des zirkulären Schließmuskels oder bei frustranen vorausgegangenen Sphinkterrekonstruktionen hat sich die stimulierte Grazilisplastik (Abb. 3) etabliert. Dabei erfolgt die Transposition des M. gracilis um den Anus mit gleichzeitiger elektrischer Stimulation des Muskels. Die Dauerstimulation des M. gracilis führt zu einer Abnahme der schnellen, aber rasch ermüdbaren Typ-II-Muskelfasern zugunsten der langsamen, wenig ermüdbaren Typ-I-Muskelfasern. Nach einer Konditionierungsphase wird der Grazilismuskel dauerstimuliert, lediglich zur Defäkation wird der Impulsgenerator inaktiviert. Die Erfolgsrate der stimulierten Grazilisplastik liegt zwischen 56 und 80 %.

Analog zum künstlichen Blasenschließmuskel wurde ein künstlicher Anal­sphinkter entwickelt (Artificial Anal Sphincter/Artificial Bowel Sphincter/ABS). Er ist eine Alternative zur stimulierten Grazilisplastik, insbesondere wenn eine Grazilisplastik nicht zum Erfolg führte. Die Erfolgsrate wird in den wenigen zur Verfügung stehenden Studien mit 70 % angegeben. Die Infektions- und Arrosionsrate ist hoch, die infektionsbedingte Notwendigkeit einer Explantation des Systems beträgt ca. 30 %.

Sakrale Nervenstimulation

Die Dauerstimulation der Sakralnerven (Abb. 4) ist eine neue Methode in der Behandlung einer Schließmuskelschwäche. Diese Behandlungsform setzt nach neuerer Erkenntnis kein morphologisch komplett intaktes Kontinenzorgan voraus. Das Konzept dieser Methode ist die Mobilisation funktioneller Reserven durch die Stimulation der peripheren Sphinkterinnervation. Das operative Verfahren gliedert sich in zwei Schritte: eine Teststimulation und bei nachgewiesenem Erfolg die nachfolgende Implantation eines permanenten Impulsgenerators. Die Erfolgsraten dieser wenig invasiven Behandlungsmethode liegen aktuell über den Ergebnissen der Rekonstruktionsverfahren.

Zusammenfassung

Stuhlinkontinenz sollte keinesfalls als eine schicksalhafte Situation akzeptiert werden, weder vom Patienten noch durch den behandelnden Arzt. Die therapeutischen Optionen sind in den letzten Jahren deutlich erweitert worden, insbesondere ist hier das spezialisierte Beckenboden- und Schließmuskeltraining zu nennen einschließlich der modernen operativen Behandlungsmöglichkeiten. Die wenig invasive Sakralnervenstimulation ist inzwischen gut etabliert und ergänzt die Behandlungsoptionen. Einen abgestuften Behandlungsalgorithmus gibt Abbildung 5 wieder.


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Interessenkonflikte:
keine deklariert

Prof. Dr. med. Alois Fürst


Kontakt:
Prof. Dr. med. Alois Fürst
Klinik für Chirurgie
Caritas-Krankenhaus St. Josef
93053 Regensburg

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2012; 34 (1) Seite 31-34