130 Jahre nach der Erstbeschreibung des Tuberkulose-Erregers durch Robert Koch zeichnet sich in Ballungszentren wie Berlin oder Frankfurt am Main eine alarmierende Trendänderung ab: Bereits im zweiten Jahr in Folge stieg 2010 die Zahl der Neuerkrankungen leicht an. Experten halten diese Entwicklung für bundesweit richtungsweisend. Höchste Zeit also für neue Strategien zur Kontrolle der Tuberkulose!

Im März 2012 haben das Deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK) und die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) Empfehlungen zur Therapie, Chemoprävention und Chemoprophylaxe der Tuberkulose im Erwachsenen- und Kindesalter vorgelegt [1].

Anamnese

Das Autorenteam um Prof. Dr. med. Tom Schaberg, Rotenburg/Wümme, legt da­rin besonderen Wert auf eine sorgfältige Anamnese: Neben Tuberkulosevorerkrankung und -behandlung, Kontakt zu Erkrankten, Immunstatus, Begleitmedikation und Drogenanamnese sind insbesondere

  • Risikofaktoren für das Vorliegen einer resistenten Tuberkulose (Herkunft, Vorbehandlung, Kontakt zu resistentem Tuberkulosefall oder zu Risikogruppen mit erhöhter Resistenzprävalenz) und
  • Begleiterkrankungen (Diabetes, HIV, Leber- oder Niereninsuffizienz etc.)

zu erheben und zu dokumentieren.

Bakteriologische Diagnostik ausschöpfen

Grundsätzlich sollte bei jedem Tuberkulosefall ein kultureller Erregernachweis angestrebt werden - ggf. durch invasive Verfahren wie Bronchoskopie oder CT-gestützte Herdpunktion. Diagnostisches Ziel ist die bakteriologische Sicherung durch mikroskopischen und kulturellen Nachweis. Bei Verdacht auf einen resistenten Stamm von Mycobacterium tuberculosis wird empfohlen, eine primäre molekularbiologische Resistenztestung (Schnelltests zum Erregernachweis und zur Erkennung von Resistenzgenen) durchzuführen. Eine phänotypische Resistenzprüfung des Isolates ist bei jedem kulturellen Erregernachweis zwingend, da nur hier auch alle Zweitrangmedikamente (bei entsprechender Indikation) getestet werden können.

In jedem Fall HIV-Test anbieten

Zudem ist der Ausgangsbefund mit bildgebenden Verfahren zu dokumentieren (Thorax-Röntgen).Vor dem Start der antituberkulösen Therapie sollen Laborparameter wie Blutbild, Nieren- und Leberfunktion bestimmt und wegen der therapeutischen Konsequenzen einer Koinfektion ein HIV-Test angeboten werden (u. a. Gefahr vielfältiger Medikamenten-Interaktionen). Vor Gabe von Ethambutol muss eine augenärztliche Funktionsuntersuchung und beim geplanten Einsatz von Aminoglykosiden/Polypeptid-Antibiotika eine Audiometrie erfolgen.

Wann stationär behandeln?

Patienten mit Resistenzverdacht oder nachgewiesener Resistenz gehören stets in die Hand von erfahrenen Ärzten oder Zentren. Insbesondere Patienten mit schwerwiegenden medizinischen Problemen (u. a. besonders schwere Erkrankung, Medikamentenunverträglichkeit und Komorbidität wie HIV oder Diabetes) sollten (zunächst) in der Klinik behandelt werden.

Bei unkooperativen Patienten oder bei Zweifeln an der Therapieadhärenz ist eine überwachte Therapie anzustreben. Als psychosoziale Indikationen hierfür gelten z.B. psychiatrische Erkrankungen, Substanzmissbrauch oder fehlender Wohnsitz, als medizinische Indikationen Rezidivtherapie, poly- oder multiresistente Erreger sowie eine erneute Therapie nach Versagen oder Abbruch. Die Medikamenteneinnahme erfolgt dann z.B. im Gesundheitsamt, einer Arztpraxis, einer Klinik-Ambulanz oder in einem Obdachlosenheim. Kann ambulant eine adäquate Versorgung nicht sichergestellt werden, ist ebenfalls eine stationäre Therapie indiziert.

Mittel der Wahl: Kombinierte Antibiose

Wegen ihrer unterschiedlichen Wirksamkeit in den verschieden strukturierten tuberkulösen Läsionen und der Notwendigkeit, eine Selektion von spontan resistenten Mutanten zu vermeiden, werden in der Tuberkulosetherapie mehrere Antibiotika kombiniert. Zu den Erstrangmedikamenten zählt die Weltgesundheitsorganisation WHO Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid und Ethambutol. Sie sind mikrobiologisch hoch wirksam, in großen kontrollierten Studien gut untersucht und in der Regel sehr gut verträglich.

Die Zweitrangmedikamente werden differenziert in:

  • injizierbare Substanzen (Aminoglykoside/Peptid-Antibiotika; Streptomycin, Capreomycin, Amikacin, Kanamycin)
  • Fluorchinolone der neueren Generation (Levofloxacin, Moxifloxacin); cave: Ciprofloxacin und Ofloxacin werden nicht mehr empfohlen!
  • Substanzen mit gesicherter Wirkung gegenüber Mycobacterium tuberculosis (Rifabutin, Protionamid, Terizidon, Para-Aminosalicylsäure)
  • Antibiotika mit unklarer Wirkung gegenüber M. tuberculosis (Amoxicillin, Clavulansäure, Clarithromycin, Imipenem, Linezolid)

Sechsmonatige Therapie in zwei Phasen

Die Therapie erfolgt in zwei Phasen: In der zwei Monate dauernden Initialphase nehmen Erwachsene mit pulmonaler/intrathorakaler Tuberkulose ohne Risikofaktoren für eine Medikamentenresistenz in der Regel Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid und Ethambutol ein (Tabelle 1). Eine initiale Dreifachtherapie wird nicht mehr empfohlen. Die Vierer-Kombination soll eine Resistenzselektion vermeiden und die Zahl der vermehrungsfähigen Erreger und damit die Infektiosität der Patienten rasch senken. In der viermonatigen Kontinuitätsphase erhalten die Patienten weiterhin Isoniazid und Rifampicin. So soll eine Eradikation erreicht und ein Rezidiv vermieden werden. Können alle Medikamente über den gesamten Zeitraum in regelrechter Dosierung verabreicht werden, dauert die Behandlung insgesamt sechs Monate.

Bei ausgedehnter kavernöser Lungentuberkulose und/oder mikroskopischem Nachweis von M. tuberculosis über zwei Monate nach Behandlungsbeginn und bei unveränderter Sensibilität kann die Initialphase verlängert werden, d.h. der Patient erhält nach zwei Monaten Vierertherapie zusätzlich einen Monat Isoniazid, Rifampicin plus Pyrazinamid.

Die Standardtherapie für die Lungentuberkulose wird auch für Pleura-, Lymphknoten-, Urogenital-Tuberkulosen, abdominelle Tuberkulosen und Perikard-Tuberkulosen empfohlen. Bei Knochen- und Gelenktuberkulosen ist häufig eine Verlängerung der Kontinuitätsphase auf sieben Monate notwendig, bei ZNS- oder miliaren Tuberkulosen auf zehn Monate. Eine adjuvante Glukokortikoidtherapie wird bei ZNS-Tuberkulosen empfohlen, vermutlich ergibt sich auch bei Perikard-Tuberkulosen ein Vorteil.

Tägliche Einmalgabe der Substanzen

Die Tuberkulose-Medikamente (wenige Zweitrangsubstanzen ausgenommen) werden morgens zusammen in einer Dosis eingenommen - möglichst nicht zu stark fetthaltigen Nahrungsmitteln. Eine intermittierende Therapie (dreimal pro Woche mit erhöhter Dosierung der einzelnen Substanzen) sollte nicht mehr durchgeführt werden. Während die WHO empfiehlt, die Erstrangmedikamente in fixen Kombinationen zu verabreichen, wird in Deutschland die gleichzeitige Gabe von Einzelpräparaten als äquivalent angesehen.

Untersuchungen im Therapieverlauf

Die Laborwerte sollten nach zwei, vier und acht Therapiewochen, bei unauffälligen Befunden anschließend alle vier Wochen überprüft werden. Augenärztliche Kontrolluntersuchungen unter Ethambutol und Audiometriekontrollen unter Aminoglykosiden werden in vierwöchigem Abstand empfohlen.

Zudem sollte in der Initialphase bis zur mikroskopischen Konversion das Sputum zweimal pro Monat mikroskopisch kontrolliert werden. Erneute kulturelle Untersuchungen sollen jeweils nach vier, acht und zwölf Wochen erfolgen. Zur Dokumentation des Therapieerfolges ist eine kulturelle Konversion jeweils am Ende der Initial- und der Kontinuitätsphase nachzuweisen. Sind nach mehr als acht Wochen Initialtherapie noch Erreger kulturell nachweisbar, wird eine erneute molekularbiologische und kulturelle Empfindlichkeitsprüfung empfohlen.

Bei Erwachsenen mit thorakalen Tuberkulosen sollte das Thorax-Röntgen nach vier und acht Wochen wiederholt werden. Nach erfolgreicher Therapie sollen Kontrollaufnahmen nach drei, sechs, zwölf und 24 Monaten erfolgen.

Die Therapie und der Verlauf sollten sorgfältig in einem Therapiepass dokumentiert werden. Auch ein enger Kontakt zum Gesundheitsamt - über die Meldepflicht hinaus - ist sinnvoll (Unterstützung bei der Ermittlung von Kontaktpersonen, Absprache bei überwachter Therapie etc.).

Chemoprävention bei latenter Infektion

Für die gezielte Diagnostik einer latenten tuberkulösen Infektion, d.h. das Vorhandensein vitaler Erreger ohne feststellbare tuberkulöse Erkrankung, wird die Durchführung eines Interferon-Gamma-Release-Assays und/oder eines Tuberkulin-Hauttests empfohlen. Bei positivem Testergebnis sollte ein Thorax-Röntgen erfolgen. Weist weder die Aufnahme noch der sonstige klinische und anamnestische Befund auf eine tuberkulöse Erkrankung hin, ist eine präventive Therapie indiziert:

  • bei engen Kontaktpersonen zu einem kulturell oder molekularbiologisch gesicherten, an Lungentuberkulose erkrankten Indexfall
  • bei radiologischem Nachweis narbiger Veränderungen im Lungenparenchym, die wahrscheinlich Residuen einer postprimären inaktiven Tuberkulose sind und niemals antituberkulös behandelt wurden
  • bei Patienten nach Organtransplantation unter iatrogener Immunsuppression
  • bei HIV-positiven Personen
  • bei Personen vor geplanter Therapie mit TNF-alpha-Inhibitoren
  • bei Patienten mit schwerwiegender Grunderkrankung wie Diabetes, Silikose, malignen Lymphomen, Leukämien oder Kopf-Hals-Karzinomen
  • bei Z.n. Gastrektomie oder jejunoilealem Bypass
  • bei i.v. Drogenabhängigkeit

Ebenso ist eine Chemoprävention zu erwägen bei Personen mit erhöhter Reaktivierungstendenz, z.B. Migranten aus Hochinzidenzländern, Obdachlosen oder Strafgefangenen.
Sind die Personen mit den genannten Risikofaktoren jedoch 50 Jahre oder älter, mahnt das DZK eine individuelle Risikogewichtung an, bevor eine präventive Therapie eingeleitet wird. Denn mit dem Alter steigt das Risiko einer INH-Hepatitis und anderer unerwünschter Arzneimittelwirkungen.

Standardmäßig kommt zur Chemoprävention Isoniazid (Dosierung: 5 mg/kg Körpergewicht, in der Regel 300 mg/d) für neun Monate zum Einsatz. Bei positivem Testergebnis nach Kontakt zu einem Patienten mit multiresistenter Tuberkulose ist die Gabe eines Fluorchinolons plus Ethambutol oder Protionamid zu erwägen. Alternativ kann jeweils auch eine engmaschige Überwachung erfolgen.

Prophylaxe nach Kontakt mit Erkrankten

Waren besonders gefährdete Personen (Kinder < 5 Jahre, HIV-Patienten, Patienten mit TNF-alpha-Inhibitor-Therapie etc.) mit ansteckenden Patienten in Kontakt, kann bereits vor dem Nachweis einer latenten tuberkulösen Infektion eine Behandlung mit Isoniazid (bei Kindern 200 mg/m2 Körperoberfläche, Erwachsene 300 mg/d) erfolgen. Acht bis zwölf Wochen nach dem letzten Kontakt zur Indexperson sollen diese Patienten erneut auf eine latente tuberkulöse Infektion getestet werden. Bei negativem Ergebnis kann die Isoniazid-Gabe beendet, beim Nachweis einer latenten Infektion kann sie als Chemoprävention über insgesamt neun Monate fortgesetzt werden.

Stefanie Lindl-Fischer


Literatur
1) Schaberg T et al. Pneumologie 2012; 66: 133 - 171 zit. n. Epidemiologisches Bulletin 2012; 11: 89 - 92

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2012; 34 (9) Seite 14-16