Patienten mit Funktionsstörungen am Stütz- und Bewegungsapparat stellen sich vielfach in erster Instanz beim Hausarzt vor und werden von diesem ersttherapiert. Dieser Artikel gibt einen Überblick über zwei Beschwerdebilder, mit denen der Allgemeinmediziner regelmäßig konfrontiert wird: Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule und Hüftschmerzen. Es werden wichtige Untersuchungstechniken zusammengefasst sowie Indikatoren vorgestellt, welche zu einer Überweisung zum Facharzt führen sollten.

Schmerzen und Funktionsstörungen am Stütz- und Bewegungsapparat sind häufig, nehmen mit steigendem Alter zu und sind meist harmlos. Der Kontext, in welchem diese Beschwerden auftreten, gibt wichtige Hinweise, ob es sich eher um ein harmloses oder ein schwerwiegenderes Krankheitsbild handelt. So sind Schmerzen nach ungewohnten körperlichen Tätigkeiten ohne adäquates Trauma meist als Überlastungsreaktion zu interpretieren und harmlos. Häufig finden sich im Bereich der beanspruchten Körperregion stark schmerzhafte und druckempfindliche Sehnenansätze, sogenannte Triggerpunkte. Die umgebende Muskulatur kann eine ausgeprägte Verhärtung (Muskelhartspann) mit erheblicher Druckschmerzhaftigkeit zeigen. Generalisierte Schmerzen im Bereich des Bewegungsapparates können zudem parainfektiöser oder rheumatischer Genese sein. Exemplarisch wird im Folgenden das Vorgehen bei Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule sowie bei Hüftschmerzen erläutert.

Lendenwirbelsäule

Rückenschmerzen sind bei Frauen und Männern aller Altersgruppen die häufigste Schmerzart [1]. Sie verursachen in Deutschland direkte Kosten in Höhe von 8,4 Milliarden Euro pro Jahr [2], 4 % der gesamten Arbeitskraft in Deutschland gehen durch Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Rückenschmerzen verloren [3]. Kreuzschmerzen sind die vierthäufigste Ursache für einen Arztbesuch [4] und häufigster Grund für Arbeitsunfähigkeit und Frühberentung [5].

Spezifischer oder nichtspezifischer Kreuzschmerz?

Zentral für jegliche hausärztliche Therapie ist die Unterscheidung zwischen dem in der Regel harmlosen nichtspezifischen Kreuzschmerz und dem spezifischen Kreuzschmerz. Bei dem selteneren spezifischen Kreuzschmerz liegt eine definierte anatomische/neurophysiologische Ursache vor. Hier muss die gezielte und frühzeitig fachärztliche Diagnostik und Behandlung zeitnah in die Wege geleitet werden [6].

Zur Identifizierung der Dringlichkeit einer fachärztlichen ambulanten oder gar notfallmäßigen stationären Behandlung sollte eine sogenannte „diagnostische Triage“ anhand von Warnsignalen („red flags“) vorgenommen werden. Dies sind Vorerkrankungen und Symptome, die auf eine spezifische Ursache mit dringendem Behandlungsbedarf hindeuten. Dabei sind anamnestisch die Bereiche Fraktur, Tumor und Infektion abzuklären. Eine orientierende neurologische Untersuchung kann dabei das Vorliegen einer Nervenschädigung ausschließen (Tabelle 1).

Unter nichtspezifischem Kreuzschmerz versteht man Schmerzen, die ohne identifizierbare anatomische und neurophysiologische Ursachen ausgelöst werden. Sie sind in der Regel harmlos und bilden den größten Anteil von Patienten mit Kreuzschmerzen.

Charakteristika:

  • Fehlen der „red flags“typische Anamnese (Schmerzen nach besonderer oder ungewohnter Belastung ohne signifikantes Trauma, z. B. schweres Heben, längere Zwangshaltungen…)
  • Schmerzen häufig im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule (LWS) oder im lumbosakralen Übergang lokalisiert
  • kein Klopfschmerz über der Wirbelsäule
  • schmerzhafte Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule (In- und Reklinationsschmerz)
  • Muskelhartspann paravertebral
  • negativer Lasègue-Test
  • keine radikuläre dermatombezogene Schmerzausstrahlung
  • keine neurologischen Ausfälle

Radikulär oder pseudoradikulär?

Bei Schmerzen im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule und im lumbosakralen Übergang können ebenso Beinschmerzen vorhanden sein. Hier ist die Differenzierung zwischen radikulärer Schmerzausstrahlung, wie man sie bei einem Bandscheibenvorfall mit Kompression einer Nervenwurzel vorfindet, und der eher harmlosen pseudoradikulärer Schmerzausstrahlung entscheidend. Letztere ist gekennzeichnet durch eine diffuse, nicht einem Dermatomschema folgende, meist auf Becken und Oberschenkel beschränkte Schmerzausstrahlung ohne sensomotorische Defizite.

Liegen Beinschmerzen vor, müssen im Rahmen einer orientierenden neurologischen Untersuchung insbesondere der Dermatome und Kennmuskeln L4 – S1 eine akute Radikulopathie sowie schwere arterielle Durchblutungsstörungen, eine Thrombose und eine koxale Ursache ausgeschlossen werden.

Bildgebende Diagnostik

Eine frühe bildgebende Diagnostik verbessert per se die Behandlungsqualität nicht [8] und ist somit primär beim nichtspezifischen Kreuzschmerz nicht indiziert. Die Chronifizierung von Kreuzschmerzen kann hingegen durch Überbewertung der Erkrankung und die ausführliche Interpretation von bildgebenden Befunden aggraviert werden und zur Stigmatisierung der Betroffenen führen. Hilfreich ist es, dem Patienten die gute Prognose und Harmlosigkeit der Erkrankung zu vermitteln. Längerzeitige Krankschreibungen sollten aufgrund des sekundären Krankheitsgewinnes, des ökonomischen Schadens und der genannten Stigmatisierung des Patienten möglichst unterbleiben.

Therapie des nichtspezifischen Kreuzschmerzes

Nichtspezifische Kreuzschmerzen können in der Regel suffizient auf hausärztlicher Ebene behandelt werden:

  • frühzeitige schmerzadaptierte Mobilisierung, keine immobilisierende Bettruhe
  • ausreichende Schmerzmedikation nach dem WHO-Schema: Hierbei sind primär NSAR unter Beachtung der Kontraindikationen effektiv einsetzbar
  • Wärme im Bereich der Paravertebralmuskulatur
  • ggf. Krankengymnastik, nicht jedoch in der akuten, schmerzhaften Phase

Hüftgelenk

Im Gegensatz zum älteren Erwachsenen, bei dem die Coxarthrose als Schmerzursache dominiert, können Hüftschmerzen bei Kindern auf eine schwerwiegendere Erkrankung hinweisen (vgl. Tabelle 2) und sind somit stets (kinder)orthopädisch-fachärztlich abklärungsbedürftig.

Akute Hüftschmerzen im jüngeren und mittleren Erwachsenenalter können durch eine Hüftkopfnekrose verursacht sein. Betroffen sind insbesondere Patienten mit Nikotin- und Alkoholabusus sowie Patienten unter Chemo- oder Steroidtherapie. Ebenso können eine Läsion des Labrum acetabulare oder eine Synovialitis Hüftschmerzen in dieser Altersgruppe verursachen. Hier sollte eine zügige orthopädische Abklärung erfolgen.

Coxarthrose

Das Hüftgelenk ist das am häufigsten von Arthrose betroffene Gelenk. Eine Coxarthrose findet sich insbesondere in fortgeschrittenem Lebensalter. Die Prävalenz einer symptomatischen Cox­arthrose bei über 60-Jährigen wird in Deutschland mit 5 –6 % angegeben [9]. Die Erkrankung führte im Jahr 2011 allein in Deutschland zur Implantation von etwa 210 000 künstlichen Hüftgelenken [10].

Tritt eine Coxarthrose in fortgeschrittenem Alter auf, so ist am ehesten von einer primären, das heißt schicksalhaften Coxarthrose auszugehen. Tritt die Erkrankung hingegen früher auf, so ist eine sekundäre Coxarthrose wahrscheinlich (vgl. Tabelle 2).

Symptomatik bei Hüftgelenkaffektion

Bei Hüftgelenkaffektion vordergründig ist der Leistenschmerz, da das Hüftgelenk zentral unter dem Leistenband lokalisiert ist. Die Patienten klagen meist über ziehende bis stechende inguinal betonte Schmerzen, die in die Trochanter-major-Region ausstrahlen können. Coxarthrose-typisch sind ein Schmerz bei und nach körperlicher Belastung mit Provokation insbesondere beim längeren Gehen und Stehen sowie ein Anlaufschmerz. Sportliche Patienten erleben häufig erste Belastungsbeschwerden beim Joggen. Hinter einem vermeintlichen Leistenbruch kann sich eine Coxarthrose verbergen! Differenzialdiagnostisch einzubeziehen sind unter anderem Inguinal- oder Schenkelhernien, Insertionstendinosen, Adduktorenzerrungen, Bursitiden und die Meralgia paraesthetica nocturna.

Mit Fortschreiten der Arthrose kommt es zu einer zunehmenden schmerzhaften Bewegungseinschränkung. Die Patienten berichten häufig, dass sie durch Behinderung der endgradigen Flexion und Rotation Strümpfe und Schuhe nicht mehr selbst anziehen können. Später kommen Ruheschmerzen, teils mit erheblicher Störung des Schlafes, hinzu. Unbehandelt nimmt der Bewegungsradius immer weiter ab.

Untersuchungsbefund bei Hüftgelenkaffektion

Grundsätzlich fällt bei schmerzhaften Hüftgelenkaffektionen ein typisches pathologisches Gangmuster, das Duchenne-Hinken, auf. Dabei wird in der Standphase der Oberkörper über das betroffene Hüftgelenk gebeugt. Dadurch müssen die Hüftabduktoren weniger angespannt werden, der Hüftkopf wird weniger kraftvoll in die Pfanne gedrückt. Im Einbeinstand kommt es zu einem Absinken des kontralateralen Beckens (positives Trendelenburg-Zeichen, Abb. 1).

Bei der Bewegungsprüfung nach der Neutral-Null-Methode fällt besonders eine schmerzhafte Flexions-Innenrotationseinschränkung auf. Eine Hüftbeugekontraktur ist oft durch Ventralverkippung des Beckens und Hohlkreuz kaschiert und kann durch den Thomas-Handgriff objektiviert werden (Abb. 2 und 3).

Diagnostik und Therapie

Zur Sicherung der Diagnose einer Coxarthrose ist ein konventionelles Röntgenbild in zwei Ebenen ausreichend (anterior-posteriorer Strahlengang sowie Lauenstein-Aufnahme). Weiterführende bildgebende Untersuchungen, insbesondere die MRT, sind nur bei speziellen Fragestellungen indiziert und sollten durch den Orthopäden veranlasst werden.

Hüftschmerzen beim älteren Patienten ohne Risikofaktoren können zunächst in hausärztlicher Verantwortung symptomatisch therapiert werden:

  • Körperliche Schonung
  • Kurzzeitige NSAR-Gabe unter Magenschutz bei fehlenden Kontraindikationen in akuten Phasen
  • Mobilisierende und gelenkzentrierende KG mit Traktionsbehandlung der Hüfte
  • Weiches, stabiles Schuhwerk

Bei fehlender Besserung der Beschwerden sollte eine fachorthopädische Beurteilung erfolgen.

Hüftschmerzen, die beim jüngeren Patienten, insbesondere bei Kindern auftreten, sollten unverzüglich einer fachorthopädischen oder, wenn möglich, kinderorthopädischen Beurteilung zugeführt werden, da relevante und dringend behandlungsbedürftige Erkrankungen ursächlich vorliegen können. Ebenso sollten Patienten mit immobilisierenden Hüftschmerzen direkt zum Facharzt weitergeleitet werden.

Bei gesicherter Diagnose einer primären Coxarthrose stellt der künstliche Gelenkersatz (Totalendoprothese) die letzte Therapiestufe dar, wenn trotz symptomatischer konservativer Therapie die Lebensqualität und Mobilität signifikant beeinträchtigt sind. Die Wahl des Implantates richtet sich hierbei individuell nach dem biologischen Alter, der ggf. vorliegenden Komorbidität, der Knochenqualität und Anatomie sowie der Erwartungshaltung der Patienten.

Zuverlässige Prognosen zur Progredienz einer Arthrose sind im Einzelfall schwierig. So können im Gegensatz zur „Coxarthrose rapid“ zwischen Symptombeginn und Operationsindikation zum Teil jahrelange Verläufe liegen. Nach radiologischer Diagnosesicherung und Beratung durch den Orthopäden kann die funktionelle und medikamentöse Therapie auch durch den Hausarzt verantwortlich durchgeführt werden, wobei regelmäßige (jährliche) Verlaufskontrollen beim Facharzt zu empfehlen sind. Ebenso sollte bei akuter Verschlechterung der Orthopäde konsultiert werden.


Literatur
1. Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes: Der Bundes-Gesundheitssurvey - Baustein der Gesundheitssurveillance in Deutschland. Robert Koch-Institut (RKI). 2002
2. Gesundheit in Deutschland. Berlin: Robert Koch Institut (RKI). 2006
3. Göbel H: Epidemiology and costs of chronic pain syndromes exemplified by specific and unspecific low back pain. Schmerz. 2001 Apr;15(2):92-8.
4. Fink W, Haidinger G: Die Häufigkeit von Gesundheitsstörungen in 10 Jahren Allgemeinpraxis. Z. Allg. Med. 83 (200) 102–108. 2007
5. Schneider S: Rückenschmerz: Verbreitung, Ursachen und Erklärungsansätze. 2007, S. 9ff. GRIN Verlag
6. Eckardt A: Praxis LWS-Erkrankungen. 2011, Seite 4. Springer-Verlag.
7. Nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz, Version 1.2 (Langfassung). 2011, Seite 47
8. Chou R et al: Imaging strategies for low-back pain: systematic review and meta-analysis. Lancet. 2009 Feb 7;373(9662):436-72
9. Lühmann D et al: Hüftgelenkendoprothetik bei Ostheoarthrose – Eine Verfahrensbewertung, Institut für Sozialmedizin, Medizinische Universität zu Lübeck, Nomos Verlagsgesellschaft, Lübeck. 2000
10. Bundesverband Medizintechnologie E.V.: Publikation des BV-Med-Medienservice zum künstlichen Gelenkersatz in Deutschland. 2/2011. www.bvmed.de

Interessenkonflikte:
keine deklariert

Prof. Dr. med. Marcus Jäger


Kontakt:
Prof. Dr. med. Marcus Jäger
Orthopädische Klinik
Universitätsklinikum Essen
45147 Essen

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2012; 34 (7) Seite 42-46